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Katholische Kirche sieht Chefarzt-Urteil kritisch

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Eheringe auf einem Foto

Foto: epd-bild/Andrea Enderlein

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz kommentiert die Entscheidung des EuGH über die Kündigung eines Arztes wegen dessen zweiter Ehe.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz hat die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Kündigung eines Arztes wegen dessen zweiter Ehe zurückhaltend kommentiert.

Man sehe das Urteil kritisch, weil die verfassungsrechtliche Position, nach der die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst bestimmen können, "nicht ausreichend berücksichtigt wurde", erklärte der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, nach dem Urteil am Dienstag in Bonn. Andererseits verwies er darauf, dass die letztliche Entscheidung beim nationalen Gericht - in diesem Fall das Bundesarbeitsgericht - liege, und auf geänderte Regeln innerhalb der Kirche, nach denen der konkrete Fall heute andere beurteilt würde.

Kündigung kann verbotene Diskriminierung darstellen

Der EuGH entschied am Dienstag in Luxemburg, dass die Kündigung eines leitenden Mitarbeiters durch einen katholischen Arbeitgeber wegen Wiederheirat nach EU-Recht eine verbotene Diskriminierung darstellen kann. Die Anforderung an den Arzt, den heiligen Charakter der Ehe nach katholischem Verständnis zu beachten, erscheine nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung, erklärte das Gericht. (AZ: C-68/17)

Im konkreten Fall ging es um einen Mann, der seit über 18 Jahren an einem katholischen Krankenhaus in Düsseldorf beschäftigt ist. 2005 hatte er sich von seiner ihm katholisch angetrauten Frau scheiden lassen und später standesamtlich eine neue Partnerin geheiratet. Seine dem Erzbistum Köln unterstehende Düsseldorfer Klinik begründete die Kündigung damit, dass die zweite Ehe nach Kirchenrecht ungültig sei. Dadurch habe er seine Loyalitätspflichten erheblich verletzt.

Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

2015 änderte die katholische Kirche ihre Loyalitätsrichtlinien, wonach je nach Aufgabe und Tätigkeitsbereich auch leitende Angestellte nicht automatisch bei einer Wiederheirat ihre Stelle verlieren. Es spreche viel dafür, dass dem Chefarzt nach diesem Maßstab nicht gekündigt worden wäre, erklärte der Jurist Gregor Thüsing, der für die Kirche den Prozess begleitete, in Berlin. Dennoch sei es im Interesse der Kirche, die grundsätzliche Frage zur Beurteilung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen zu klären.



Langendörfer erklärte, es sei Sache der Kirche, nicht der staatlichen Gerichte, im Rahmen dieses Grundrechts aus ihrer religiösen Überzeugung heraus selbst festzulegen, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiter stellen, was die Glaubwürdigkeit erfordert und welches Gewicht ein Loyalitätsverstoß hat. Er kündigte an, die Urteilgründe genau zu analysieren. Endgültig über den Fall entscheiden muss das Bundesarbeitsgericht.

EKD: EuGH-Urteil bestätigt Grundsätze kirchlichen Arbeitsrechts

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Gelände des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)

Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa

Gelände des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Kündigung eines wiederverheirateten Arztes an einem katholischen Krankenhaus das Recht der Religionsgemeinschaften auf ein eigenes Arbeitsrecht bestätigt.

Zugleich habe das Gericht hervorgehoben, dass staatliche Arbeitsgerichte kirchlichen Mitarbeitenden Rechtsschutz bei willkürlichen Entscheidungen oder ungerechten Behandlungen gewähren, sagte eine EKD-Sprecherin am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Hannover. "Dieser Rechtsschutz ist der evangelischen Kirche wichtig und in der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet", betonte sie.

Das Urteil selbst zu den arbeitsrechtlichen Anforderungen in der römisch-katholischen Kirche spiele für die EKD, ihre Gliedkirchen und die Diakonie keine Rolle, sagte die Sprecherin. Deshalb seien nur die Grundsätze der EuGH-Enscheidung von Bedeutung. Danach müsse das kirchliche Selbstverständnis bei den Anforderungen an die Mitarbeiter hinreichend berücksichtigt werden. "Es ist danach Sache der Kirche, nicht der staatlichen Gerichte, aus ihren religiösen Grundsätzen selbst festzulegen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert und welches Gewicht gegebenenfalls ein schwerer Loyalitätsverstoß hat."



Die EuGH-Richter entschieden am Dienstag, dass die Kündigung eines katholischen Arbeitgebers gegen einen leitenden Mitarbeiter wegen dessen zweiter Ehe nach EU-Recht eine verbotene Diskriminierung darstellen könne. Die Anforderung an den Arzt, den nach katholischem Verständnis heiligen Charakter der Ehe zu beachten, erscheine nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung, erklärte das Gericht und übertrugen die Entscheidung zurück an das Bundesarbeitsgericht.

Antisemitismus ist auch Angriff auf christlichen Glauben

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Holocaust-Mahnmal in Berlin

Foto: epd-bild/Ralf Maro

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin erinnert an die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden in der NS-Zeit.

Antisemitismus ist nach Ansicht der westfälischen Präses Annette Kurschus ein Angriff auch auf den christlichen Glauben. Das Judentum sei die Wurzel des Christentums, erklärte Kurschus am Montag in einem Grußwort zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana, wie die Landeskirche am Montag in Bielefeld mitteilte.

Es gehöre zum Selbstverständnis der westfälischen Kirche, dass Juden heute in Deutschland unbehelligt leben könnten, schrieb die leitende Theologin an den Landesverband der jüdischen Gemeinden in Westfalen-Lippe. Gerade in Zeiten verstärkter antisemitischer Vorfälle wolle die westfälische Kirche ihre Verbundenheit mit den jüdischen Gemeinden "noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck bringen", erklärte Kurschus. Die Evangelische Kirche von Westfalen fühle sich dem Anliegen des christlich-jüdischen Dialogs verpflichtet.

Auch der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker gratulierte den jüdischen Gemeinden zu ihrem Neujahrsfest. In seinem Grußwort setzte sich Becker für eine Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zwischen Juden und Christen ein, wie das Erzbistum mitteilte. Der nach der Überlieferung des Alten Testaments gemeinsame Stammvater Abraham solle beide Religionen daran erinnern, auf welches Glaubensfundament sie sich beziehen. Erzbischof Becker äußerte den Wunsch nach Gelegenheiten zur Begegnung und zum Kennenlernen zwischen Menschen jüdischen und christlichen Glaubens.

Das jüdische Neujahrsfest wird seit Sonntagabend gefeiert und dauert bis zum Dienstag. Es eröffnet nach jüdischer Zeitrechnung das Jahr 5779. Rosch Haschana findet immer 162 Tage nach dem ersten Tag des Passahfestes statt. An Rosch Haschana, übersetzt das "Haupt des Jahres", feiern die Juden den Anfang der Schöpfung. Das Neujahrsfest erinnert an den Bund zwischen Gott und dem Volk Israel. Es ist eine Zeit des Bilanzziehens und der Gebete für eine gute Zukunft.

EuGH stärkt Arbeitnehmern gegenüber Kirche den Rücken

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Urteil über Kündigung des katholischen Chefarzt

Foto: epd-bild/Annette Zöpf

Das Gericht erklärte, die Anforderung an den Arzt, den nach katholischem Verständnis heiligen Charakter der Ehe zu beachten, erscheine nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. (Symbolfoto)

Seit rund zehn Jahren beschäftigt der Fall die deutschen Gerichte und inzwischen auch die europäische Justiz. Der Europäische Gerichtshof äußert sich in seinem Urteil zur Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen dessen zweiter Ehe kritisch.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen den Rücken gestärkt. Die Glaubenslehre könne nur Kündigungsgrund sein, wenn sie direkt mit der Arbeitsstelle zusammenhänge, urteilten die Luxemburger Richter am Dienstag. Anlass war der Fall eines katholischen Chefarztes, dem eine kirchlich getragene Düsseldorfer Klinik wegen seiner zweiten Ehe gekündigt hatte. Die katholische Kirche sieht die Gerichtsentscheidung kritisch. Nach Auffassung des evangelischen Kirchenrechtlers Hans-Michael Heinig ist das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach dem Urteil geschwächt. (AZ: C-68/17)

Ehe heilig und unauflöslich

Dass die katholische Glaubenslehre, wonach die Ehe heilig und unauflöslich ist, mit der Arbeit eines Mediziners direkt zusammenhängt, bezweifelten die Richter. Unter Berücksichtigung seiner Tätigkeiten als Chefarzt "erscheint die Akzeptanz dieses Eheverständnisses für die Bekundung des Ethos" der Kirche als "nicht notwendig", erklärte der EuGH. Der Fall geht nun zurück an das Bundesarbeitsgericht.

Der Arzt ist seit über 18 Jahren und auch heute noch als Chefarzt an einer Düsseldorfer Klinik beschäftigt, die dem Erzbistum Köln untersteht. 2005 hatte er sich von seiner ihm katholisch angetrauten Frau scheiden lassen und später standesamtlich eine neue Partnerin geheiratet. Daraufhin kündigte ihm die Klinik. Sie begründete dies damit, dass die zweite Ehe nach Kirchenrecht ungültig sei. Dadurch habe er seine Loyalitätspflichten erheblich verletzt.

EKD sieht Recht auf eigenes Arbeitsrecht bestätigt

Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte in Bonn, sie sehe das Urteil kritisch, weil die verfassungsrechtliche Position, nach der die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst bestimmen können, nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht in dem Urteil das Recht der Religionsgemeinschaften auf ein eigenes Arbeitsrecht bestätigt. Zugleich habe das Gericht hervorgehoben, dass staatliche Arbeitsgerichte kirchlichen Mitarbeitenden Rechtsschutz bei willkürlichen Entscheidungen oder ungerechten Behandlungen gewähren.

Der Rechtsstreit ging in Deutschland bis zum Bundesarbeitsgericht und zum Bundesverfassungsgericht. Der EuGH hatte nun das einschlägige EU-Gesetz zur Gleichbehandlung im Beruf auszulegen. Es sieht Privilegien für die Kirchen und andere weltanschauliche Gemeinschaften vor - offen war, wie weit sie reichen. Die Leitfrage lautete, ob kirchliche Arbeitgeber bei Leitungspositionen an Angehörige der eigenen Kirche andere Maßstäbe anlegen dürfen als an Andersgläubige oder Konfessionslose. Denn die Beachtung des kirchlichen Eheverständnisses wurde an der Klinik nur von katholischen Angestellten gefordert.

Gerichtliche Kontrolle und nicht Belieben der Kirche

Laut EuGH-Urteil ist eine derartige Ungleichbehandlung zwar nicht ausgeschlossen. Sie müsse aber erstens Gegenstand gerichtlicher Kontrolle sein können und liege damit nicht im Belieben der Kirche. Zweitens müsse die Glaubenslehre eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" angesichts des Ethos der Kirche darstellen - woran die Richter im vorliegenden Fall Zweifel hatten.

Der EuGH äußerte sich auch zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das AGG stellt die deutsche Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie dar. Wenn das nationale Gesetz aber so formuliert sei, dass es nicht in Einklang mit EU-Recht zu bringen sei, dürfe es nicht angewendet werden, entschieden die Richter.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die Gerichtsentscheidung. "Das Urteil stärkt den Diskriminierungsschutz der Beschäftigten bei Kirchen und kirchennahen Arbeitgebern", sagte Bernhard Franke, der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle.

Kirchliche Sonderrechte nicht mehr zeitgemäß

Die Gewerkschaft ver.di äußerte ebenfalls Zustimmung zu dem Urteil und forderte Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht. "Die kirchlichen Sonderrechte sind längst nicht mehr zeitgemäß. Die Beschäftigten in konfessionellen Einrichtungen müssen dieselben Rechte haben wie Beschäftigte anderswo", sagte Gewerkschaftssekretär Mario Gembus.



Der Kirchenrechtler Heinig wertete das Urteil als Einschnitt für das Arbeitsrecht der Kirchen. "Der EuGH hat das bisherige System des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschland, die bisher vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Grundkoordinaten, wie erwartet verworfen", sagte der Göttinger Jura-Professor dem epd. Die Entscheidung stärke Arbeitnehmerrechte und das Anliegen der Diskriminierungsverbote zulasten der kirchlichen Selbstbestimmung, sagte er.

"Kirchenmusik gewinnt eine neue Chance"

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Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der EKD im Interviewzu Musik bzw. Kultur und Verkündigung.

Foto: epd-bild/Rolf Zöllner

Der Chor der Gemeinde unter Leitung von Kantor Matthias Schmelmer in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin.

Der Beruf des Kantors, Games-Gottesdienste und die Einstellung zu Veränderungen – ein Gespräch mit Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der EKD, in der Interviewreihe zu Musik, Kultur und Verkündigung.

Im protestantischen Vaterunser werden "die Kraft und die Herrlichkeit" Gottes angesprochen. Wo und wie offenbaren sich diese Dimensionen im Gottesdienst für Sie persönlich? In der Musik Johann Sebastian Bachs? Oder in einer Predigt von Lutherischer Wortgewalt?

Johann Hinrich Claussen: Ehrlich gesagt, eher in der Musik Bachs. Es muss aber nicht immer kräftig und herrlich zugehen. Lieber sind mir fast die leisen Passagen und die Pausen. Das Wesentliche geschieht in den Momenten, in denen nichts passiert.

Lohnt es sich für angehende Berufsmusiker, eine Laufbahn als Kirchenmusiker anzustreben, speziell im evangelischen Bereich?

Claussen: Auf jeden Fall. Kantor zu sein ist eine wunderbare Aufgabe. Es verbindet vieles, was für viele Musiker sonst getrennt ist: das Pädagogische, das Künstlerische, das Einsame, das Gemeinschaftliche, mehrere Generationen. Und natürlich Musik und Glauben.

Das Pädagogische?

Claussen: Ein  Kantor ist immer auch Musiklehrer, so in der Arbeit mit Kindern, auch mit Gottesdienstgemeinden, die ja alle nicht aus Profis bestehen. Insofern leisten Kantoren einen wichtigen Beitrag zur Gesangs- und Musikkultur. Das ist eine oft stille, aber umso wichtigere Arbeit, die oft übersehen wird. Jedenfalls eine tolle Aufgabe!

In wieweit sind evangelische Kirchengemeinden ein attraktiver Arbeitgeber? Laut Kord Michaelis, Präsident der Konferenz der Landesmusikdirektoren, steht die Kirche nicht unbedingt im Ruf, ein Arbeitgeber der Zukunft zu sein.

Claussen: Eigentlich ein sehr guter Arbeitgeber im Vergleich mit Rahmenbedingungen, die man im säkularen Bereich lange suchen kann. Allerdings gibt es so viele unterschiedliche Stellen und manchmal schon prekäre Bedingungen. Hier liegt eine wichtige Zukunftsaufgabe unserer Kirche insgesamt - dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft auskömmliche und stabile Stellen für Kirchenmusiker geben wird.

"Es gehört zur Folklore evangelischer Kirchengemeinden, dass sich jeweils der eine vom anderen unterdrückt fühlt"

Die Musikbranche – nicht zuletzt mit ihren neuen digitalen Techniken und Geschäftsfeldern – ist so breit und vielfältig, dass es für junge begabte Musiker attraktive Alternativen gibt. Muss Kirche sich folgerichtig mehr dem heutigen Lifestyle annähern, muss Theologie lebensnäher werden?

Claussen: Zum einen sollte sich Kirche ohne Scheu und Angst auf die Veränderungen einstellen, Musik zu hören und zu machen. Andererseits gewinnt die Kirchenmusik in einer Zeit, da sich Musik ins Digitale verflüchtigt, eine neue Chance. Diese tut sich auf, wenn reale Menschen an einem konkreten analogen Ort miteinander musizieren, gern auch mit einem Instrument wie der Orgel, die sich kaum ins Digitale übersetzen lässt. Kirchenmusik steht so für Gemeinschaftlichkeit oder auch Körperlichkeit, die ganz neu wichtig werden.

Im Gottesdienst kommen die Verkündigung durch das Wort und die Offenbarung durch die Musik zueinander, im Idealfall auf einer gemeinsamen Höhe von Botschaft und Rezeption. Tatsächlich aber werden Kirchenmusiker mit einer gewissen Hierarchie konfrontiert. Beobachten Sie eine Rangfolge zum Nachteil der Verkündigung durch die Musik?

Claussen: Eine professionelle Grundaufgabe von Pastoren und Kirchenmusikern besteht darin, bei aller Unterschiedlichkeit gut zusammenzuarbeiten. Es gehört zur Folklore evangelischer Kirchengemeinden, dass sich jeweils der eine vom anderen unterdrückt fühlt. Der Pastor hat vielleicht mehr Macht, aber der Kantor hat den Chor hinter sich. Und das kann zu unfruchtbaren Konflikten führen. Dabei ist das Zusammenspiel, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ein großes berufliches Glück.

"Wichtig ist die persönliche Leidenschaft"

Ihr EKD-Kollege Thies Gundlach hat im Interview mit evangelisch.de geäußert, sola sciptura müsse als "biblische Grundierung" und als "Alleinstellungsmerkmal" der Kirche im Zentrum bleiben. Müssen sich Kirchenmusiker nicht folgerichtig auf eine Rangordnung hinter dem Pfarrer einstellen? Oder, um es psychologisch zu formulieren, zwangsläufig zurückgesetzt fühlen?

Claussen: Ich kenne Thies Gundlach als Freund der Kirchenmusik. Insofern wird er nicht einer Hierarchisierung das Wort geredet haben. Grundsätzlich stehen alle, die in der Kirche Verantwortung tragen, vor der Herausforderung, viel kollegialer miteinander zu arbeiten und teamfähiger zu werden.

Sola scriptura zu unterstreichen ist eine Sache. Eine andere wäre es, Predigten  zu einem Erlebnis zumindest für die Gottesdienstbesucher zu machen. Gibt es für die Pfarrerinnen und Pfarrer genügend Unterstützung, die an sich und damit für ihre Gemeinde arbeiten wollen?

Claussen: Das reformatorische sola sollte heute um ein cum erweitert werden. Die biblische Botschaft, die heutige Lebenswirklichkeit, Ästhetik, Kunst und Musik - all dies sollte man viel mehr zusammenbringen. Dafür braucht es Fortbildung und kollegiale Foren. Noch wichtiger sind aber die persönliche Leidenschaft und die Unterstützung in den Gemeinden bei Experimenten.

"Wichtig erscheint mir, Raum freizugeben, Neues auszuprobieren"

In der Kirche sind Stimmen zu vernehmen, die nach einer neuen Sprache für das Reden von Gott suchen. Ist dies ein Ansatz, der Predigt im Gottesdienst Auftrieb zu vermitteln?

Claussen: Einerseits ist eine Sprachnot zu beobachten. Es gibt bei uns auch Formen erschöpfter Sprache, die wir sprechen. Andererseits  versuchen viele sehr ernsthaft, für den Glauben einen neuen Ausdruck zu finden, sprachlich oder musikalisch. Ich sehe interessante Entwicklungen in der Gegenwartslyrik bis hin zum poetry slam. Aufregend erscheinen mir auch Entwicklungen im Jazz, die im freien Improvisieren fußen. Wir sollten viel neugieriger schauen, was passiert.

Sie sind stark von Film und vom Theater geprägt, haben Veröffentlichungen über Kirchenbauten und Kirchenmusik vorgelegt. Insgesamt beste Voraussetzungen, um über Verkündigung und Offenbarung völlig neu zu denken. Ist es an der Zeit, vielleicht eine neue Ästhetik zu entwickeln? Erst einmal als Konzept?

Claussen: Ich bin kein großer Theoretiker. Interessanter als allgemeine Theorie erscheint mir, mehr Raum freizugeben, Neues auszuprobieren. Innovativ kann manchmal übrigens auch das Alte sein, das sich mit dem Modernen trifft. Stichwort Crossover. Noch wichtiger als eine neue Theorie ist mir, sich auf den jeweiligen Ort zu besinnen, sich an das jeweilige Milieu zu wenden. In Berlin sind die Verhältnisse anders als in Brandenburg, in Hamburg anders als in Dortmund. Ich plädiere für die Hinwendung zu kulturell sehr unterschiedlich geprägten und aktiven Menschen. Es gibt nicht mehr die Einheitskultur, sondern sehr unterschiedliche Lebenswelten, die alle ihr Recht haben.

Junge Menschen, im Prinzip die Gemeinde von morgen, bilden ihre Rezeptionsstandards durch TV, neuerdings in Streaming-Formaten, den Film, in wachsendem Maße durch Games. Sie sind von der sogenannten Eventkultur,  vielleicht noch vom Musical beeinflusst. Ganz sicher die meisten nicht vom Theater, vom klassischen Konzert und der Oper. Muss die Kirche in der Präsentation ihrer theologischen Botschaft hierauf eingehen?

Claussen: Auf jeden Fall, aber es muss auch passen, was man neu  macht. Zum Anlass, zum Raum, zur eigenen Person, zum eigenen Körper. Es hilft nicht, neuen Trends lediglich hinterher zu hetzen. Man muss vorher genau überlegen. Ein Games-Gottesdienst kann sehr schön sein, wenn man selbst begeisterter Gamer ist oder ihn gemeinsam mit Jugendlichen entwickelt und feiert. Einfach ein modisches Programm machen zu wollen - das muss schiefgehen.

In Ihrem Blog "Kulturbeutel" bei chrismon geben Sie Denkanstöße unter der Devise, auch das Überflüssige sei lebensnotwendig. Könnte diese Maxime nicht auch das emotionale Erscheinungsbild von Gottesdiensten tangieren? Also mehr "Genuss an Gott" und weniger spirituelle Askese?

Claussen: Genuss und Askese gehören eigentlich zusammen. Genießen kann nur, wer vorher gehungert hat. Askese, eine gewisse Strenge, finde ich gut, wo sie zur Konzentration führt. Aber in der spirituellen Konzentration muss dem Menschen ja etwas aufgehen: Überfließendes, Beglückendes. Deshalb favorisiere ich einen Rhythmus aus unterschiedlichen Elementen, etwa Ekstase und Zurückhaltung. Das traditionelle Kirchenjahr versucht ja genau dieses: einen Rhythmus des Weniger und des Mehr zu inszenieren. Da die Menschen heute punktueller in den Gottesdienst gehen, wäre darauf zu achten, einen solchen Rhythmus an jedem Sonntag einzuüben. Und die Kirchenmusik als Kunst der Konzentration wie der Ekstase ist da eine große Inspirationsquelle.

Gericht verhandelt über Schadenersatz für Kirchenmusiker

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Kirchenmusiker

Foto: epd-bild/Bertold Fernkorn

Organist Bernhard Schüth an der Orgel in der evangelischen Dorfkirche Bochum-Stiepel.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf verhandelt am Mittwoch über die Schadenersatzklage des früheren katholischen Kirchenorganisten Bernhard Schüth, dem 1997 wegen einer außerehelichen Beziehung gekündigt wurde.

Er fordert von seiner ehemaligen Gemeinde und dem Bistum Essen wegen entgangener Verdienste rund 275.000 Euro sowie für die Zeit ab Januar 2017 monatlich 1.449 Euro bis zum Renteneintritt, wie ein Gerichtssprecher am Dienstag in Düsseldorf erklärte. Zudem verlange der Kläger den Ausgleich von ihm entgangenen Rentenansprüchen. Der Musiker werfe der Essener Kirchengemeinde und dem Bistum eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor, erklärte der Gerichtssprecher. Um damit vor Gericht Erfolg zu haben, müsse er nachweisen, dass bei seiner Kündigung das Kirchenrecht bewusst zu seinem Nachteil ausgelegt wurde.

Die Kündigung beschäftigt bereits seit 20 Jahren die Gerichte. Schüth war seit 1983 als Chorleiter und Organist in der katholischen Gemeinde St. Lambertus in Essen angestellt. Als die Gemeinde erfuhr, dass er nach der Trennung von seiner Ehefrau eine außereheliche Beziehung hatte und mit seiner Partnerin ein Kind erwartete, wurde ihm im Juli 1997 mit Wirkung ab April 1998 gekündigt.



Eine Kündigungsschutzklage wurde im Jahr 2000 rechtskräftig vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf abgewiesen. Auch eine Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gab dem Kirchenmusiker jedoch recht: Die deutschen Gerichte hätten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend mit dem Recht des Kirchenmusikers auf ein Privat- und Familienleben abgewogen. Die Straßburger Richter sprachen Schüth eine Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 40.000 Euro zu.

Mit seiner Klage auf Wiedereinstellung scheiterte der Kirchenmusiker jedoch. Das Bundesarbeitsgericht erklärte, das Gesetz sehe ein Wiederaufnahmeverfahren nach einem Erfolg vor dem EGMR zwar inzwischen vor, allerdings nur für Fälle, die ab dem 1. Januar 2007 rechtskräftig abgeschlossen wurden. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Jahr 2016.

Vorverkauf für Dortmunder Kirchentag startet

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Kirchentag Dortmund

Foto: epd-bild/Norbert Neetz

Das offizielle Plakatmotiv des Kirchentags in Dortmund

Für den 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund ist der Kartenvorverkauf im Internet angelaufen.

Dauer-, Tages- oder Abendkarten sowie Tagungsmappen mit dem Kirchentagsprogramm können ab sofort online unter www.kirchentag.de/teilnehmen zu einem Frühbuchervorteil bestellt werden, wie die Kirchentags-Geschäftsstelle am Mittwoch in Dortmund mitteilte. Der Kartenkauf per Telefon oder per Post ist ebenso möglich. Frühbucher, die sich bis 8. April 2019 anmelden, zahlen den Angaben nach für Dauerkarten 98 statt 108 Euro, ermäßigt 54 statt 62 Euro. Die Familienkarte kostet zum Vorteilspreis 158 Euro.

Rund 100.000 Besucher aus aller Welt werden zu dem Großereignis im kommenden Sommer erwartet. Das Treffen steht unter der biblischen Losung "Was für ein Vertrauen". Auf dem Programm stehen den Angaben zufolge Konzerte, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen sowie neue Gottesdienstformate. Aktuell werden rund 2.000 Veranstaltungen in 45 Vorbereitungsgruppen vorbereitet.



Präsident des evangelischen Kirchentages 2019 ist der Journalist Hans Leyendecker. "Nicht nur als jemand, der früher lange in Dortmund gelebt hat, freue ich mich ganz besonders", sagte er am Mittwoch. Dortmund sei als Stadt des Umbruchs der ideale Ort für das Kirchentreffen, um angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Verunsicherung und der Zunahme von Rechtspopulismus neue Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. "Die Menschen hier haben weder ihren Grundoptimismus, noch die Solidarität untereinander verloren", betonte Leyendecker. 

Der Kirchentag ist alle zwei Jahre in einer anderen Stadt zu Gast. 2017 fand das Protestantentreffen anlässlich des 500. Reformationsjubiläums in Berlin und Wittenberg statt. Für 2021 ist zum dritten Mal ein Ökumenischer Kirchentag geplant, in Frankfurt am Main.

Protestanten-Gipfel: Europas Kirchen tagen in Basel

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Protestanten-Gipfel

Foto: pixabay/Hans

Stadtansicht von Basel

In Basel beginnt an diesem Donnerstag die 8. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE).

Unter dem Leitspruch "Befreit - verbunden - engagiert" wollen bis 18. September Delegierte aus mehr als 30 Ländern Europas über drängende Zukunftsfragen wie Migration, Rechtsextremismus und Fremdenhass beraten, teilte der Dachverband mit. Die Versammlung will unter anderem eine Stellungnahme zum aktuellen politischen Geschehen in Europa abgeben.

Evangelische Stimme Europas

Das Gremium repräsentiert rund 50 Millionen europäische Protestanten aus fast 100 lutherischen, methodistischen, reformierten und unierten Kirchen. Der Dachverband versteht sich als evangelische Stimme Europas. Zuletzt trafen sich Europas Protestanten zu ihrer Vollversammlung 2012 in Florenz und 2006 in Budapest. Für die Union Evangelischer Kirchen (UEK) will die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bosse-Huber, an der Tagung in Basel teilnehmen.   

Mit Blick auf die Ökumene erwägt die GEKE-Vollversammlung die Aufnahme weiterer Gespräche mit dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen. Dazu soll erstmals seit der Reformation im 16. Jahrhundert eine Absichtserklärung zwischen dem Vatikan, vertreten durch den päpstlichen "Ökumene-Minister" Kardinal Kurt Koch, und dem GEKE-Präsidenten, dem Schweizer Gottfried Locher, unterzeichnet werden.

Damit soll der Grund für einen neuen Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen Europas gelegt werden. Das Dokument werde während des Festgottesdienstes am Sonntag, 16. September, um 10.00 Uhr im Basler Münster unterzeichnet, hieß es.

Sozialen und kulturellen Zusammenhalt in Europa stärken

Als Hauptredner des Basler Protestanten-Gipfels wird Andrea Riccardi, Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio, erwartet. Langfristig wolle die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa den sozialen und kulturellen Zusammenhalt in Europa stärken und auf Missstände in Europa reagieren, hieß es weiter. Dazu wollen die Kirchen sich besser vernetzen und gemeinsame Hilfsprojekte auf den Weg bringen.

Die GEKE wurde 1973 gegründet, damals noch unter dem Namen "Leuenberger Kirchengemeinschaft". Zentrales Ziel war damals die Spaltung zwischen den reformierten und lutherischen Kirchen Europas zu überwinden.

Durch die Verabschiedung der "Leuenberger Konkordie", der jahrzehntelange Lehrgespräche vorausgingen, wurde im März 1973 eine über 450 Jahre währende Kirchentrennung in Europa beendet. Theologen bezeichnen das zu Grunde liegende Ökumene-Modell als "Einheit in versöhnter Verschiedenheit". Die Mitgliedskirchen gewähren sich Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Sie erkennen gegenseitig Ordination und Ämter an.


Friede, Freude, Gebet besuchen

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Ahmadiyya-Konferenz

Foto: dpa/Uli Deck

Ahmadiyya-Konferenz

Mit 35.000 Anhängern gehört die Ahmadiyya zu den kleineren islamischen Gemeinden in Deutschland. Warum sie für Integration und das Islambild im Land dennoch unerlässlich sind, zeigten sie am Wochenende in Karlsruhe.

Da steht dieser freundliche ältere Herr mit einem Bart so weiß wie der Turban, den er trägt, auf einer riesigen Bühne und redet mit warmer Stimme über die Wichtigkeit, seinem Land zu dienen. Über Demokratie und die Treue zur Rechtsordnung. Einige tausend Betende entfernt verteilen zwei Jugendliche an der Eingangstür des riesigen Gebetsaales Broschüren mit dem Titel "Wir sind alle Deutschland" an die Gläubigen. Über deren Köpfen prangt in riesengroßen Buchstaben der Slogan "Liebe für alle, Hass für keinen". Und statt des üblichen "Allahu Akbar" drängt zum Ende der Veranstaltung der Ruf "Islam heißt Frieden" durch die Halle.

Was wie der Traum eines jeden Integrationspolitikersk lingt, wurde am Wochenende Realität: Rund 40.000 Anhänger und Gäste der "Ahmadiyya Muslim Jamaat" trafen sich zu ihrer jährlichen Versammlung, der "Jalsa Salana". Das klingt nach viel, blickt man auf die überfüllten Hallen der Karlsruhe Messe. Das ist gigantisch, wenn man weiß, dass die islamische Gruppierung in Deutschland gerade einmal 35.000 Mitglieder zählt.

Freitagsgebet bei der "Jalsa Salana".

Zwischen Klassentreffen und Pilgerfahrt

"Ich bin 22 Jahre alt und solange komme ich auch schon zur Jalsa. Es ist wie eine große Familienfeier. Für drei Tage bauen wir uns hier unsere eigene kleine Stadt auf, in der jeder seine Rolle hat und fühlen uns sehr wohl dabei", sagt Rameza Bhutti. Was sie damit meint, wird deutlich, sobald man den Gebetssaal verlässt.

Im Außenbereich warten hunderte Helfer mit scheinbar unendlichen Massen an Reis, Linsensuppe und Pappbechern auf das Ende des Freitagsgebets. "Haben wir extra aus Pakistan importiert", sagt ein Mann hinter einem Berg von Fleischspießen und zeigt auf einen Turm aus Kisten voller Mangos. Ein paar Meter weiter hat ein Team aus Ahmadi-Ärzten und -Sanitätern einen professionellen Sanitätsbereich errichtet. Vor den Toren der Halle bringt unterdessen der Ahmadi-Fahrservice neue Besucher von Flughäfen und Bahnhöfen zur Messe und später zu den reihenweise angemieteten Hotels der Stadt.

Der Klassenfahrt-Charakter ist aber nur ein Aspekt der Veranstaltung. Worum es eigentlich gehe, sagt Bhutti, die außerhalb der Jalsa Politik und Soziologie studiert, sei die spirituelle Atmosphäre. Dem pflichtet auch Aniq Ahmed bei. "Es ist die familiäre Stimmung, aber vor allem die Emotionalität, wenn man den Kalifen sieht und das unbeschreibliche Gefühl der Erleuchtung", erklärt der 26-jährige Imam.

Älter als die Bundesrepublik

Der Kalif, von dem er spricht, wohnt in London und heißt Mirza Masroor Ahmad. Seine Auftritte stellen den absoluten Höhepunkte der Veranstaltung dar. Ahmadis verehren ihn als spirituelles Oberhaupt ihrer Gemeinde und fünften Nachfolger von Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad, der Ende des 19. Jahrhunderts in Indien seine reformislamischen Lehren verbreitete. Dass Ahmadis ihn als Messias und Nachfolger des Propheten Mohammeds verehren, ist für viele orthodoxe Muslime Grund, sie zu verfolgen. Ihre indische Heimat mussten die meisten Ahmadis verlassen. Die Islamische Weltliga erklärte sie 1974 zu Ungläubigen. Auch in Deutschland sehen viele Muslime die Ahmadiyya als abtrünnige islamische Sekte.

Dabei verdeutlicht wahrscheinlich keine andere islamische Gruppierung in Deutschland so gut, wie selbstverständlich Islam und Deutschland zusammengehören. Die Geschichte der Ahmadiyya reicht nicht nur weiter zurück als die jeder anderen islamischen Gruppierung in Deutschland, mit fast 100 Jahren ist sie älter als die Bundesrepublik selbst. Die älteste noch erhaltene Moschee in Deutschland, die 1924 gebaute Wilmersdorf-Moschee in Berlin, stammt ebenso von Ahmadis wie die erste deutsche Koranübersetzung aus muslimischer Hand und die erste islamische Zeitung in Deutschland.

"Was unsere Gemeinde auszeichnet: Wir stehen loyal zu unserem Land. Du wirst hier niemanden mit 'Merkel muss weg'-Slogan sehen", sagt der 36-jährige Hmayon Salim. Das Bekenntnis zur jeweiligen Regierung und politischen Ordnung ist fester Bestandteil der Theologie der Ahmadis.

So offensiv wie die Anhänger keiner anderen islamischen Strömung streiten Ahmadis deshalb überall dort für einen gewaltfreien Islam, wo andere ihn infrage stellen: am Berliner Breitscheidplatz, in Chemnitz, in Fußgängerzonen und auf Facebook. Als einzige islamische Religionsgemeinschaft genießen sie in Hessen und Hamburg den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, haben also die gleichen Rechte wie christliche Kirchen. Wenn Politiker Beispiele für gut integrierte Muslime oder Beweise dafür suchen, dass Islam und Grundgesetz bestens zu einander passen, landen sie oft bei den Anhängern Ahmads.

Nicht immer beruht die Liebe auf Gegenseitigkeit

Wie weit die Bereitschaft der Ahmadis zum Dialog geht, wird spätestens am dritten Tag der Veranstaltung deutlich, als nach Politikern von SPD und Linken auch Volker Münz auf der Bühne Platz nimmt. Der religionspolitische Sprecher der AfD im Bundestag bekräftigt immer wieder, dass für ihn der Islam keinen Platz in Deutschland habe. Seine Vorsitzende, Alice Weidel, forderte sogar schon einmal, die Ahmadiyya zu verbieten. 

Dass der Slogan "Liebe für alle, Hass für keinen", den Ahmadis auch Islamfeinden demonstrativ entgegenhalten, nicht auf Gegenseitigkeit beruht, wird an den massiven Sicherheitsvorkehrungen der Veranstaltung deutlich. Hunderte Ahmadis arbeiten drei Tage lang freiwillig als Sicherheitsleute. Kein Besucher kommt ohne Zugangskarte oder den richtigen Begleiter auf das Gelände. Röntgengeräte für Gepäck, Metalldetektoren und Iris-Scanner erinnern eher an einen Flughafen als eine Friedensmesse.

Immer wieder ist die Gemeinde, deren Anhänger fast über die gesamte Welt verteilt leben, Ziel islamistischer Angriffe geworden. Der Vorgänger des jetzigen Kalifen entging nur knapp einem Attentat. Erst vergangene Woche ging in Pakistan eine Moschee der Ahmadiyya in Flammen auf. Auch in Deutschland schlägt den Ahmadis teils gewaltsamer Protest entgegen.

"Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich geschlagen, bespuckt und beleidigt wurde", sagt Suleman Malik. Der Chef der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde bemüht sich seit einigen Jahren um den Bau einer Moschee in einem kleinen Gewerbegebiet am Rande der Stadt. Unbekannte platzierten Schweineköpfe auf der Baustelle. Angestachelt durch die Ereignisse in Chemnitz protestierten erst letzte Woche Vermummte gegen den Bau der Moschee. Von heimlichen Weltherrschaftsplänen der Ahmadiyya liest man auf den Seiten der Moscheegegner - ein Hirngespinst, das Religionswissenschaftler als Verschwörungstheorien erkennen.

Uwe Wagishauser, Deutschlandchef der Ahmadiyya Abdullah

Kritik am Frauenbild und Umgang mit Homosexualität

Nicht jede Kritik an der Ahmadiyya entstammt aber der wirren Gedankenwelt von Islamfeinden. Auch sie selbst sind in mancher Hinsicht aus der Zeit gefallen. Themen wie der Umgang mit Homosexualität und die Gleichstellung von Mann und Frau sind ihre Achillesferse beim Bemühen um ein zeitgemäßes Image. "Wer homosexuell ist, wird sicherlich bei uns nicht Vorsitzender werden", sagt der Deutschlandchef der Ahmadiyya Abdullah Uwe Wagishauser. "Aber ansonsten ist das ihr Privatleben, das geht mich nichts an. Das ist bei uns nicht anders als bei den Kirchen auch."

Dass Frauen und Männer auch in Karlsruhe in getrennten Hallen beten, findet die Vorsitzende der Frauenorganisation der Ahmadiyya, Khola Marjam Hübsch, nicht problematisch. "Auf der Frauen-Seite ist das ein Safe Space. Man betet gemeinsam, die Mäntel und Kopftücher werden ausgezogen, man ist unter sich, völlig entspannt.", erklärt Hübsch und erzählt von einem Musikfestival in Dänemark: "Das war total aus dem Ruder gelaufen und infolgedessen hatten in diesem Jahr Cis-Männer keinen Zutritt. Frauen haben danach erzählt, wie es wahr: entspannt, offen, es gab nicht ständig diese Flirt-Situationen. So ist es auf der Jalsa auch."

 

Innerislamische Kritiker wiederum werfen den Ahmadis vor, durch das ständige Betonen von Gewaltlosigkeit und Grundgsetztreue das Spiel der Rechtspopulisten mitspielen. "Lange Zeit waren wir froh, wenn überhaupt über den Islam geredet wurde. Ich hoffe schon, dass wir auch irgendwann selbst Themen in den Debatten besetzen können", sagt Hübsch. Keine Strafe auf Apostasie oder Themen wie Öko-Islam: "Wir haben vieles, was sehr modern ist", sagt die Frankfurter Autorin, die von Talkshow-Machern regelmäßig in der Rolle der selbstbestimmten Kopftuchträgerin besetzt wird und wohl das prominenteste Gesicht der Ahmadiyya in Deutschland ist.

Fernsehstudio

Zumindest in Karlsruhe muss sie an diesem Wochenende nicht vor die Kamera. Das übernimmt ein junger Mann, der eigentlich Bauingenieur ist. Im eigens gebauten Fernsehstudio bereitet sich das Freiwilligen-Team der "Muslim Television Ahmadiyya" auf die nächste Live-Schalte via Satellit und Online-Streaming vor. Ein paar Meter entfernt steht das gleiche Studio noch einmal: für die arabischsprachige Kommentierung der Kalifen-Predigt. Die wird gleichzeitig von einem Team aus ehrenamtlichen Ahmadi-Simultanübersetzern in über zehn Sprachen übertragen. Dafür, dass man diese auch außerhalb des Gebetsaales verfolgen kann, sorgt die eigene Ahmadiyya-Radiostation. Wenn dort einmal keine Reden übertragen werden, übernimmt der Ahmadiyya-Verkehrsfunk. Dort läuft alles problemlos für die Ahmadis. Zumindest an diesem Wochenende in Karlsruhe.

"Von alten Jungfern und Junggesellen" - Tagung zu Singles in der Kirche

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Singles in der Kirche

Foto: pixabay/Free-Photos

(Symbolbild)

Wie lebt es sich als Single in der Kirche? Dieser Frage geht am Donnerstag ein Expertenhearing in Hannover nach. Eingeladen hat dazu das Evangelische Zentrum Frauen und Männer. Dabei sollen nicht nur Erkenntnislücken geschlossen, sondern auch konkrete Schritte erörtert werden, wie Alleinstehende besser in die Kirche integriert werden können. Eske Wollrad, Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer erklärt, worum es bei dem Hearing geht.

In Deutschland leben aktuell mehr als 18 Millionen Singles, also Menschen ohne feste Partnerschaft. In Ihrer Einladung zum Hearing mit dem Titel "Alte Jungfer - Junggeselle? Single-Sein in Theologie, Kirche und Gesellschaft" schreiben Sie, es sei an der Zeit, dass Kirche "Menschen ohne Paarbeziehung" mit mehr Wertschätzung begegnet. Singles lebten in den Kirchengemeinden "im toten Winkel", würden marginalisiert. Ihre Lebensform werde nicht anerkannt, sondern gelte "als unglücklicher Zustand". Ist es tatsächlich so schlimm bestellt um die Wahrnehmung von allein lebenden Menschen in der Kirche?

Eske Wollrad: Für uns sind allein lebende Menschen nicht unbedingt Singles. Wir verstehen unter Singles Menschen, die ohne Partnerschaft leben und sich selbst so bezeichnen. Wie schlimm ist es? Es gibt keine belastbaren Zahlen für den Umfang von Diskriminierungen alleinstehender Menschen in unserer Kirche. Was wir wahrnehmen, ist das laute Schweigen zu Singles in unserer Kirche. Wenn überhaupt kommen Singles meist als Mühsame und Beladene in den Fürbitten vor, eine Landeskirche empfiehlt Alleinstehenden, ein "möglichst ausgefülltes und zufriedenes Single-Leben zu führen". Wertschätzung und Differenzierung, so wie wir uns das wünschen, ist das nicht. Manchmal kommen Singles auf Gemeindeebene in den Blick, wenn es darum geht, bestimmte Aufgaben ehrenamtlich zu übernehmen nach dem Motto: "Du bist ja allein, du hast ja Zeit." Wir haben von Singles gehört, die dies als ein "Abtragen-müssen von Schuld" empfinden: Wenn du schon nicht das Leitbild "Ehe und Familie" erfüllst, musst du dich mindestens deutlich in der Gemeinde nützlich machen. 

Wie viele Singles gibt es in der evangelischen Kirche?

Eske Wollrad: Wir können nur Vermutungen anstellen: Wenn 26,5 Prozent der Bevölkerung evangelisch sind und laut Statstischem Bundesamt 18,5 Millonen Singles in Deutschland leben und von diesen 26,5 Prozent evangelisch wären, kämen wir auf eine Zahl von 4,9 Millionen evangelische Singles.

Welchen Anteil hat die Theologie an der möglichen Diskriminierung von Menschen, die ohne Partner leben?

Eske Wollrad: Die Bibel hat sicherlich keinen Anteil daran. Im Gegenteil: "Im Anfang ist die Beziehung." So übersetzt Martin Buber Johannes 1,1. Die Bibel erzählt von der Beziehung zwischen Gott und dem Volk Israel, von den Beziehungen der Menschen zu Gott und zueinander. Die biblische Anthropologie gründet darauf, dass Menschsein "In-Beziehung-Sein" bedeutet: "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei." Menschsein ist In-Beziehung-Sein. Beziehungen leben und gestalten, beginnt nicht mit dem ersten Kuss, sondern mit dem ersten Atemzug. Insofern greift der Dualismus, der uns so vertraut ist, nämlich der von "Beziehung haben" oder "keine Beziehung haben" biblisch nicht. Etwas anderes ist es natürlich schon in der lutherischen Tradition. Luthers Ehefreudigkeit erfuhr eine Dogmatisierung, so dass viele Christen und Christinnen heute die Ehe als Leitbild zum Wesenszug des Protestantismus erheben. Die gesellschaftliche Normativität der Paarbeziehung wird so in unserer Kirche verstärkt und Singlesein theologischdisqualifiziert.

Was kann Kirche, was können Gemeinden von Singles lernen?

Eske Wollrad: Vieles! Single-Sein eröffnet Räume, sich selbst zu erproben und Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten zu fassen. Singles überwinden geschlechtsspezifische Rollenstereotype, entdecken neue Fähigkeiten und gestalten Beziehungen ohne Schnittmuster. Gleichzeitig wollen wir Singlesein nicht glorifizieren. Wir kennen auch viele, die unter ihrem Alleinsein leiden und sich sehr um eine neue Partnerschaft bemühen.

Haben Sie Tipps für Kirchengemeinden?

Eske Wollrad: Ja. Schauen Sie doch mal Ihre Angebote durch - wo sind Singles dabei? Kommt Single-Sein in Ihren Gottesdiensten vor? Wenn ja, an welcher Stelle? Sind Singles in Ihren Leitungsgremien vertreten? Grundsätzlich ist es immer sinnvoll, die Singles, die Sie kennen, zu fragen, was sie sich wünschen. Manche möchten explizite Angebote. Zum Beispiel werden in der evangelischen Frauenarbeit spezifische Reisen für trauernde Single-Frauen sehr nachgefragt. Andere finden gerade Angebote, die sie nicht explizit adressieren, wie etwa Männergruppen, attraktiv.

Särge selber bauen - Hospiz lädt zu Workshop ein

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Vier Fragen an Sterbebegleiterin Lydia Röder vom Lazarus Hospiz Berlin
Särge selber bauen

pixabay/CentrArredo

Werkzeuge eines Schreiners

Ein Berliner Hospiz lädt für Mitte Oktober zu einem Sargbau-Workshop ein. Dabei können Teilnehmer gemeinsam mit einer Künstlerin und einer Trauerbegleiterin einen eigenen Sarg anfertigen. Die Idee dazu hatte Lydia Röder. Sie ist Sterbe- und Trauerbegleiterin und leitet den Ambulanten Lazarus Hospizdienst in Trägerschaft der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal.

Haben Sie schon Reaktionen auf Ihre Einladung zum Sargbau-Workshop bekommen?

Röder: Einige haben reagiert. Es gab sehr unterschiedliche Reaktionen. Manche davon waren begeistert, weil es etwas ganz Neues ist und andere sagten: "Da haben Sie sich ja was Komisches ausgedacht." Es wird interessant, wer sich dann wirklich auf diesen Sarg-Workshop einlässt.

Warum soll ich denn meinen eigenen Sarg bauen?

Röder: Der Sargbau-Workshop soll ein Impuls sein, sich mit den Themen Krankheit, Sterben, Tod und Trauer auseinanderzusetzen - in der Theorie wie auch in der Praxis. Diese Themen haben viel mit unserem gesamten Leben zu tun. Es geht also neben dem eigentlichen Bau eines Sarges auch darum, sich selbst und seine Haltung dem eigenen Sterben und Tod gegenüber zu reflektieren. Wir machen dazu auch kleinere Übungen. Und im Anschluss daran kann dann beim Anfertigen, Sägen, Schmirgeln, Bemalen das Erfahrene aus der Übung in körperliche Aktivität umgesetzt werden. So werden Körper, Geist und Seele gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen berührt.

Gibt es gesetzliche Vorgaben darüber, wie ein Sarg gestaltet sein soll und aus welchem Material er bestehen muss?

Röder: Ja, es gibt Vorschriften. Hier in Berlin muss der Sarg aus natürlichem Material bestehen. In unserem Fall ist es Holz. Auch die Dekorationsmaterialien, die wir am oder im Sarg einsetzen, müssen diesem Kriterium entsprechen. Es soll alles leicht verrotten können, also Stoffe wie Baumwolle, Seide, Wolle, Leinen eignen sich dafür. Es dürfen außerdem wasserlösliche Farben oder Sarglack verwendet werden, aber keine normalen Lacke aus dem Baumarkt. Die Befestigungen sollten idealerweise aus Seil oder Metall bestehen, also Tackernadeln, Schrauben oder Nägel.

Was mache ich mit dem Sarg, wenn er fertig ist?

Röder: Meinen selbst gestaltenden Sarg kann ich vor dem Tod anders nutzen, zum Beispiel als Regal, Schrank, Truhe, Sitzbank oder Bett. Sie können ihn aber zu Lebzeiten auch einfach ohne Funktion als Kunstwerk betrachten. Der Sarg als Bücherregal zum Beispiel würde mich öfter daran erinnern, dass ich sterblich bin, um dann noch mehr die Kostbarkeit und Einzigartigkeit des Lebens zu spüren. Wer sich auf den Workshop einlässt, stellt sich den Fragen des Lebens und des Sterbens.

Kirche will Singles stärker in den Blick nehmen

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"Von alten Jungfern und Junggesellen" - so der Titel einer Tagung über Singles in der Kirche. Dazu hatte am Donnerstag das "Evangelische Zentrum Frauen und Männer" nach Hannover eingeladen.

Die evangelische Kirche will Singles stärker in den Blick nehmen. Singles seien keine homogene Gruppe, sondern Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen, sagte Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), am Donnerstag bei einem Hearing des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer in Hannover. "Für mich stellt sich die Frage: Wo schließen wir als Kirche Singles aus? Und wie können wir das ändern?", sagte Schwaetzer. Die evangelische Kirche müsse besser darin werden, Menschen so wahrzunehmen, wie sie heute lebten.

Die Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer, Eske Wollrad, betonte, die evangelische Kirche habe ein Problem damit, Singlesein als theologisch legitime Lebensform zu qualifizieren: "Wenn unsere Kirche immer und immer wieder die Ehe als evangelisches Leitbild hervorhebt, muss Singlesein als defizitär erscheinen."

Sie sehe hier einen großen Bedarf an theologischer Reflexion, fügte Wollrad hinzu. Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung mit der Paarbeziehung als Norm. Oftmals würden einzelne Bibelstellen herangezogen, um die Paarbeziehung als göttliches Gebot zu belegen.

Innovationsfonds für evangelikale Medienprojekte

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Digitale Medienprojekte

Foto: everythingpossible/stock.adobe

Dieses Jahr stehen für neue, digitale Medienprojekte sowie bereits etablierte evangelikale Produkte im Rahmen des Medienfonds für Projekte mit evangelikaler Prägung 42.000 Euro zur Verfügung.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) startet einen neuen Medienfonds für Projekte evangelikaler Prägung. In diesem Jahr stehen dafür 42.000 Euro, 2019 dann 72.000 Euro zur Verfügung, teilten die EKD und das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) am Freitag in Hannover und Frankfurt am Main mit. Ab 2020 sollen für den Fonds, der vom GEP verwaltet wird, jährlich 132.000 Euro für neue, digitale Medienprojekte sowie bereits etablierte evangelikale Produkte zur Verfügung stehen.

Kirchliche Stellen, Verbände, Medieninitiativen und andere Projekte können sich den Angaben zufolge ab jetzt für eine Förderung bewerben. Über die Vergabe entscheidet ein vom GEP-Aufsichtsrat eingesetzter Fachausschuss, dem die Pfälzer Oberkirchenrätin Karin Kessel vorsitzt. Mitglieder des Ausschusses sind unter anderem auch die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, und der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und EKD-Ratsmitglied Michael Diener. Weitere Mitglieder des Vergabeausschusses sind Pastor Friedrich Schneider vom Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, Johann Weusmann, Vizepräsident der Evangelischen Kirche im Rheinland, und Tim Arnold von Boston Consulting. Im Frühjahr 2019 sollen erste Förderbeschlüsse getroffen werden.

Diener sagte, der Medienfonds sei eine Ermutigung für viele Medienverantwortliche evangelikaler Prägung. Sie erreichten zwar Kirchenmitglieder in den evangelischen Landeskirchen, müssten ihre Medienarbeit aber sehr häufig ohne kirchliche Unterstützung allein aus Spendenmitteln betreiben. GEP-Direktor Jörg Bollmann sagte, er freue sich, dass die EKD evangelische Publizistik in all ihren Ausprägungen unterstütze.

Die EKD-Synode, das Kirchenparlament der evangelischen Kirche, hatte im vergangenen Jahr beschlossen, den bisher nur dem Informationsdienst der theologisch konservativen Evangelischen Allianz (idea) zugute kommenden Zuschuss zum Jahresende 2019 einzustellen und einen Fonds einzurichten, um evangelikale Medien zu fördern. Das GEP ist die zentrale Medieneinrichtung der EKD, ihrer Landeskirchen und Werke sowie der evangelischen Freikirchen. Zum GEP gehören unter anderem die Zentralredaktion des epd sowie die Redaktionen des evangelischen Magazins "chrismon" und des Internetportals evangelisch.de.

Pfarrer sollen gegen Fremdenhass Flagge zeigen

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Der Vorsitzende des Verbands evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland, Andreas Kahnt, hat Pfarrer ermutigt, sich entschieden gegen Fremdenhass zu stellen.

Die Kirche stehe auf der Seite der Verfolgten, sagte Kahnt am Montag beim 75. Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertag in Augsburg. Kirchengemeinden sollten sich "mutig in die Öffentlichkeit stellen, um gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus Flagge zu zeigen". Wie notwendig das sei, hätten die Ereignisse in Chemnitz gezeigt.

Kahnt verteidigte in diesem Zusammenhang auch das Kirchenasyl. Dort stellten sich Kirchengemeinden und Pfarrer ebenfalls mutig vor Menschen. "Jedoch nicht, um den Rechtsstaat auszuhebeln, sondern um dem Recht Geltung zu verschaffen", betonte der Theologe: "Jegliches Einknicken beim Kirchenasyl verbietet sich."



Der dreitägige Kongress in Augsburg, an dem mehr als 400 Pfarrerinnen und Pfarrer aus Deutschland und Europa teilnehmen, steht unter dem Motto "Religion und Gewalt". Der Deutsche Pfarrerinnen- und Pfarrertag findet alle zwei Jahre statt. Er wird vom Verband evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland veranstaltet. In dem Verband sind 21 Einzelvereine mit rund 21.000 Mitgliedern organisiert.

Bedford-Strohm: Anderen Religionen mit Demut begegnen

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Heinrich Bedford-Strohm

Foto: epd-bild/Oliver Dietze

Heinrich Bedford-Strohm warnt Christen vor Überheblichkeit gegenüber anderen Religionen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat Christen vor Überheblichkeit gegenüber anderen Religionen gewarnt.

Pfarrerinnen und Pfarrer sollten nach Ansicht ihres Verbandsvorsitzenden Fremdenhass entschieden entgegentreten. Kirche stehe auf der Seite der Verfolgten, sagte Andreas Kahnt beim 75. Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertag in Augsburg. Kirchengemeinden und Pfarrer müssten sich "mutig in die Öffentlichkeit stellen, um gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus Flagge zu zeigen", sagte er. Wie notwendig das sei, hätten die Ereignisse in Chemnitz gezeigt.

Christen müssten für Achtung und Respekt werben

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, rief bei der Eröffnung der Tagung in der Augsburger Kirche St. Anna zu Demut gegenüber anderen Religionen auf. "Als Nachfolger des gekreuzigten Jesus sollten wir anderen Religionen nicht mit dem Gefühl der Überlegenheit oder des Triumphs begegnen, sondern mit der Haltung der Demut", sagte er. Christen müssten für Achtung und Respekt im Umgang mit Menschen anderen Glaubens werben. "Das haben die nicht verstanden, die - oft unter Berufung auf das Christentum - andere Religionen pauschal abwehren oder gegen sie hetzen."

Der Vorsitzende des Verbands evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland, Kahnt, verteidigte auch das Kirchenasyl. Dort stellten sich Kirchengemeinden und Pfarrer ebenfalls mutig vor Menschen. "Jedoch nicht, um den Rechtsstaat auszuhebeln, sondern um dem Recht Geltung zu verschaffen", betonte der Theologe: "Jegliches Einknicken beim Kirchenasyl verbietet sich."

An der dreitägigen Tagung in Augsburg nehmen mehr als 400 Pfarrerinnen und Pfarrer aus Deutschland und Europa teil. Sie steht unter dem Motto "Religion und Gewalt". Die Teilnehmer wollen dabei auch Gemeinden und Einrichtungen verschiedener Religionen und Konfessionen besuchen.

EKD möchte Nachwuchsprobleme bekämpfen

Bei der Tagung wollen die Teilnehmer auch über den Pfarrermangel sprechen. So ging Verbandsvorsitzender Kahnt auf eine Gesetzesinitiative ein, mit der die EKD die Nachwuchsprobleme bekämpfen will. Sie sehe etwa vor, den Ruhestand von Pfarrern nach hinten zu verschieben und bereits pensionierte Pfarrerinnen und Pfarrer zu reaktivieren. Kahnt begrüßte die Idee, solche Regelungen bundesweit einheitlich einzuführen. Bei der Flexibilisierung des Ruhestands müsse jedoch "uneingeschränkte Freiwilligkeit" gewahrt werden, sagte er.

Überlegungen, ein Ruhestandsalter von Pfarrern bis zum auf 75. Lebensjahr zu ermöglichen, nannte Kahnt "voreilig". Dies gelte umso mehr als "notwendige Maßnahmen für Gesundheitsschutz und altersgerechtes Arbeiten weithin nicht sichtbar" seien. Das EKD-Gesetz zur Flexibilisierung des Ruhestands soll nach Kahnts Angaben auf der EKD-Synode im November 2019 beschlossen werden.



Der Deutsche Pfarrerinnen- und Pfarrertag findet alle zwei Jahre statt. Er wird vom Verband evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland veranstaltet. In dem Verband sind 21 Einzelvereine mit rund 21.000 Mitgliedern organisiert.

Locher wieder Präsident der Evangelischen Kirchen Europas

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Gottfried Locher

Foto: epd-bild/Rolf Zöllner

Gottfried Locher wird wieder Präsident der Evangelischen Kirchen Europas.

Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (Geke) hat den Schweizer Gottfried Locher als ihren Präsidenten bestätigt.

Der Rat der Geke wählte am Montag in Basel ein neues dreiköpfiges Präsidium, dem neben Locher auch Miriam Rose aus Deutschland und der Brite John Bradbury angehören, wie der Ökumene-Verband mitteilte.

Locher ist seit 2011 Präsident des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. Er gehört dem Geke-Präsidium seit 2012 an und übernahm die Geschäftsführung des Präsidiums 2015. Miriam Rose ist seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Universität Jena. John Bradbury ist Pfarrer der United Reformed Church. Er gehörte dem Rat in der abgelaufenen Periode bereits als stellvertretendes Mitglied an.



Als neuer Generalsekretär wurde Mario Fischer, bisheriger Büroleiter der Geke-Geschäftsstelle in Wien, bestimmt. Er tritt sein Amt nach der Vollversammlung der Geke an, die noch bis diesen Dienstag in Basel tagt. Der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa gehören lutherische, reformierte, unierte und methodistische Mitgliedskirchen aus über 30 Ländern an. Sie vertreten rund 50 Millionen Gläubige.

Urteil: Muslimin durfte in Gerichtssaal Kopftuch tragen

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Kopftuch im Gerichtssaal

Foto: Jörg Carstensen/dpa

Das Tragen eines Kopftuches vor Gericht rechtfertigt keinen Ausschluss von der Verhandlung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Das bloße Tragen eines muslimischen Kopftuches vor Gericht rechtfertigt keinen Ausschluss von der Verhandlung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Das geht aus einem am Dienstag in Straßburg gefällten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu einem Fall aus Belgien hervor. Der belgische Staat wurde wegen Verletzung der Religionsfreiheit verurteilt und muss der Frau 1.000 Euro Schadenersatz zahlen. (AZ: 3413/09)

Die Muslimin war vor rund zehn Jahren in einem Prozess in Belgien als Zivilpartei geladen, in dem es um ihren durch ein Gewaltverbrechen getöteten Bruder ging. Als sie den Saal betreten wollte, wurde sie aufgefordert, ihren Hidschab abzulegen und nach ihrer Weigerung von der Verhandlung ausgeschlossen. Die Frau klagte dagegen vor dem EGMR, der die Achtung der Europäischen Menschenrechtskonvention überwacht.



Das Straßburger Gericht stellte fest, dass die Frau nicht als Staatsbedienstete aufgetreten sei und daher keine besondere Neutralitätspflicht habe erfüllen müssen. Der EGMR befand weiter, dass das Ziel des Ausschlusses, nämlich die öffentliche Ordnung, ein legitimes Ziel sei, das grundsätzlich Eingriffe in die Religionsfreiheit rechtfertigen könne. Im vorliegenden Fall sei aber keine Störung der Ordnung erfolgt oder anzunehmen gewesen, urteilte das Gericht. Es verwies dabei unter anderem auf das respektvolle Verhalten der Frau beim Eintritt in den Saal und darauf, dass der Hidschab Haare und Hals, aber nicht das Gesicht verhülle.

Bischof: Christsein und AfD-Mitgliedschaft schließen sich nicht aus

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Christen und AfD

Foto: dpa/Oliver Dietze

Eine Mitgliedschaft in der AfD und ein Leben als Christ schließen sich laut dem hannoverschen Landesbischof Ralf Meister nicht aus, solange sich die AfD im Rahmen des geltenden Rechts bewegt.

"Was nicht funktioniert, ist, Christ zu sein und sich antisemitisch, menschenverachtend, ausgrenzend, rassistisch zu äußern oder andere Menschen öffentlich und in Online-Netzwerken zu beleidigen", sagte der evangelische Theologe der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch). Das entspreche nicht dem geistlichen Auftrag eines Christen. "Diese Haltung unterstelle ich aber nicht allen AfD-Mitgliedern".

Man müsse gleichwohl deutlich machen: "Wer AfD-Mitglied ist fördert Positionen, die zu rechtsradikalen Wertverschiebungen führen." Er ermuntere Gemeinden, offener über Haltungen und politische Bindungen zu sprechen, erklärte der Bischof der größten deutschen Landeskirche.



Meister forderte, radikale Haltungen, die etwa in Chemnitz und Köthen zum Ausdruck kamen, scharf zu verurteilen. "Auf der anderen Seite bin ich sehr behutsam zu sagen: Mit denen reden wir nicht." Auch um diese Menschen, die momentan nicht mehr dazu gehörten, müsse man sich kümmern. "Selbst wenn sie sagen: Lass mich in Ruhe. Es befreit uns keiner von der Verantwortung, sie im Blick zu behalten", sagte der Theologe.

Muslime müssen ihren Glauben erklären

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Muslime

Foto: Getty Images/iStockphoto/FS-Stock

Ein Mann betet in einer Moschee

Der Osnabrücker Islam-Experte Bülent Ucar hat die Muslime in Deutschland angesichts von zunehmender Fremden- und Islamfeindlichkeit aufgefordert, ihre Religion zu erläutern und zu verteidigen.

"Die Zeit des Zurücklehnens und Zurückhaltens ist vorbei", sagte Ucar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Muslime stünden in der Verantwortung, ihre Positionen öffentlich darzulegen und zu erklären, "wie sie persönlich ihren Glauben verstehen und leben".

Theologische Dispute besser als Stillschweigen

Auch einfache Muslime sollten versuchen, mit Rechtspopulisten zu diskutieren, sagte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Nicht alle hätten ein geschlossenes Weltbild. Studien zeigten, dass viele Bürger, die politisch nicht rechts zu verorten seien, Angst vor dem Islam hätten. "Deshalb sind selbst laienhafte theologische Dispute besser als Stillschweigen."

Einige muslimische Institutionen lebten jedoch fernab der Realität und entzögen sich jedem öffentlichen Diskurs. Ihnen fehlten sprachliche Grundkompetenzen oder sie verstünden sich als Heimatvereine, kritisierte Ucar. Teile der Gesellschaft stellten unterdessen das Existenzrecht von Muslimen infrage. Das zeige, wie fragil die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei.



Ucar appellierte an Gesellschaft, Politik und Kirchen, neue Ideen und Modelle zu entwickeln, um Menschen unterschiedlicher Religionen zueinander zu führen. Noch immer existiere unter Nichtmuslimen eine große Hemmschwelle, Moscheen zu besuchen. Selbst an den jährlich am 3. Oktober ausgerufenen Tagen der offenen Moscheen trauten sich nur wenige Besucher dorthin, sagte der Theologieprofessor anlässlich eines Fachkongresses über den Islam in westlichen Gesellschaften in Osnabrück. Wissenschaftler aus den USA und Westeuropa wollen dort ab Donnerstag drei Tage lang unterschiedliche theologische Positionen erörtern.

Modernisierungsdruck und Last der Tradition

Solche Diskussionen über die Vielfalt und die Weiterentwicklung theologischer Lehrmeinungen sollten nach den Worten Ucars künftig vermehrt auch in den Moscheegemeinden geführt werden. Der Islam sei in Europa viel stärker als in islamisch geprägten Ländern einem Modernisierungsdruck ausgesetzt. Gleichzeitig spürten viele Muslime die schwere Last der Tradition und hätten Angst, sich zu sehr anzubiedern.

In der Begegnung mit der Moderne hätten sie es versäumt, "in den Räumen zu lüften. Jetzt sind sie verunsichert und schwanken zwischen den Extremen, die Fenster weit aufzureißen oder ganz geschlossen zu halten", sagte der Experte. Differenzen innerhalb der islamischen Theologie müssten jedoch ausgetragen werden. "Wer die überzeugenderen Argumente hat, der wird sich theologisch durchsetzen."

Hans Scholl: "Gott ist bei uns"

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Zum 100. Geburtstag von Hans Scholl, Widerstandskämpfer und Mitglied der "Weißen Rose"
Hans Scholl in München, um 1940

Bildrecht: C.H. Beck Verlag in "Flamme sein" von Robert Zoske

Hans Scholl in München, um 1940.

"Ob es gut oder böse war, dass ich zur Welt kam, weiß ich selbst nicht, jedenfalls war’s notwendig", schreibt Hans Scholl am 12. August 1941 an seine Freundin Rose Nägele. Über 75 Jahre später gibt es keine Zweifel daran, dass Hans Scholl "in seinem Mut, seinem Glauben, seiner Zielstrebigkeit, in seinem Freiheitsdrang und in seiner Sensibilität eine Ausnahmeerscheinung" war, so Scholl-Biograph Robert Zoske.

Hans Scholl wird am 22. September 1918 in Ingersheim an der Jagst geboren, einer kleinen Gemeinde im Hohenloher Land in Württemberg. Seine Eltern Magdalene (Lina) und Robert Scholl galten laut Zoske als eigenwillige Individualisten, die eher gegen als mit dem Strom schwammen. "Die Liberalität von Robert und der pietistischer Glaube von Lina haben die Kinder ganz stark geprägt", ist sich der Theologe Robert Zoske sicher, der mit "Flamme sein!" eine neue Hans Scholl Biographie veröffentlicht hat.

Zu Beginn von Hitlers Regierungszeit setzen sich die ältesten Scholl-Geschwister – Hans und Inge– begeistert für Hitler ein: Sie sind in der Hitlerjugend (HJ) und im Bund Deutscher Mädel (BDM). Mit den Eltern gibt es wegen der Begeisterung für Hitler regelmäßig lautstarke Auseinandersetzungen. Vater Robert hängt jeden Tag eine Radierung von Hitler ab, die in Hans' Zimmer hängt. Der hängt sie jedoch jedes Mal wieder auf – bis der Vater irgendwann nachgibt und sie hängen lässt.

Die Brüder Hans und Werner Scholl in der Hitlerjugend, um 1933/34.

Hans Scholl steigt sogar so weit in der Hitlerjugend auf, dass er als einer von drei Fahnenträgern aus Ulm im September 1935 am Reichsparteitag in Nürnberg teilnehmen darf. Gleichzeitig versucht er jedoch im Geheimen die Ideale der verbotenen "deutschen autonomen jungenschaft (dj.1.11)" mit denen der HJ in Einklang zu bringen. Solange das geht, bleibt er auch bei der Sache. "Erst langsam wuchs die Erkenntnis der geistigen Enge", schildert Zoske. "Und je enger das alles wurde, desto mehr hat er sich doch davon abgewandt." Die gravierendste Unvereinbarkeit, sagt Zoske, bestand zwischen der wachsenden nationalsozialistischen Uniformierung des Landes und Hans Scholls ungestümen Freiheitsdrang.

Hans Scholl als 17-Jähriger, um 1936.

Eine entscheidende Wende nimmt Hans Scholls Leben am 11. November 1937. Während Scholl als Kavalleriesoldat in der Kaserne stationiert ist, durchsucht die Geheime Staatspolizei (Gestapo) das Haus seiner Eltern und findet dort Beweismaterial für seine Tätigkeit in der verbotenen "deutschen Autonomen jungenschaft". Hans wird verhört, hofft zu diesem Zeitpunkt jedoch noch darauf, dass sich die Angelegenheit schnell klären lasse.

Ein Irrtum: Denn zu diesem Zeitpunkt geht es schon längst nicht mehr nur um seine Tätigkeit in der bündischen Jugend, sondern auch um Verstöße gegen den Paragraphen 175. Der stellt sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Kronzeuge ist Rolf Futterknecht. Mit ihm hatte Scholl ein längeres Verhältnis. Das gibt er auch gegenüber der Gestapo zu.

Ein Brief seiner Mutter Lina an den vorsitzenden Richter bringt die Wende: sie schildert die Unreife ihres Sohnes zum fraglichen Zeitpunkt, dass er gar nicht gewusst hätte, was er da tat und dass Hans eigentlich alles Schmutzige und Unreine vollkommen fremd sei. Der Richter folgt Lina Scholls Argumentation und urteilt milde. Da durch den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich gerade sowieso alle Strafen bis einen Monat amnestiert werden, muss Hans Scholl nicht ins Gefängnis. "Der Prozess wurde eingestellt – Hans Scholl wurde nicht freigesprochen", betont Robert Zoske.

Hans Scholl als Studienanfänger, um 1939.

Ab Frühjahr 1939 studiert Scholl an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Medizin. In den Semesterferien nach Kriegsbeginn nimmt er als Sanitätsfeldwebel am Frankreichfeldzug teil. "Hans Scholl ist kein Pazifist gewesen", klärt Zoske auf. Scholl habe sogar von einer Karriere als Offizier im Heer geträumt. "Er hätte diesen Weg sehr gerne eingeschlagen, aber er wusste, dass er das als 175er vergessen konnte."

Seine eigenen Erlebnisse und die Erzählungen von der Front treiben Scholl schließlich in den Widerstand: Zusammen mit Alexander Schmorell prangert er im Sommer 1942 in den ersten vier Flugblättern der "Weißen Rose" die Massenmorde an den Juden und Polen an, ruft zum passiven Widerstand auf und gibt konkrete Anweisungen für einen Regierungssturz.

Doch dem Entschluss, tatsächlich aktiven Widerstand zu leisten, ist ein langes Hadern vorangegangen: noch im Frühjahr 1942 ist Hans Scholl aus religiösen Gründen gegen einen Widerstandskampf: Er hält es für anmaßend und gegen die universelle Ordnung verstoßend.

Hans Scholl auf einer Radtour in Oberbayern, um 1939.

Es ist aber wiederum sein christlicher Glaube, der ihn schließlich doch darin bestärkt, nicht länger untätig zu bleiben. "Besser als ein im Irrtum begangenes Morden als der Friede der Welt", notiert Scholl auf einem kleinen Notizzettel. Mit dieser Argumentation folgt er Martin Luther, der als Ausweg aus einer unlösbaren Situation zu unerschrockenem Handeln geraten hat. "Wenn Untätigkeit größere Schuld bedeute als eine Tat und wenn ein an sich verwerfliches Tun größeres Leid verhindere, dann gelte", so Zoske und zitiert aus einem Brief von Martin Luther an Philipp Melanchthon, "Sündige tapfer, aber glaube tapferer und freue dich in Christus, der Sieger ist über Sünde, Tod und Welt".

Für Hans Scholl wird der Widerstand gegen die Nationalsozialisten zur Christenpflicht. "Er hat gespürt: sich zurückzuziehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, das geht nicht, das wäre Verrat", sagt Robert Zoske. Angesicht von Unrecht und Chaos, Vernichtungskriegen und nationalsozialistischer Unfreiheit kommt Hans Scholl zu der Einsicht; "Ich bin klein und schwach, aber ich will das Rechte tun."

Hans Scholl als Soldat an der Ostfront im Jahr 1942.

Von Juli bis November 1942 müssen Scholl und Schmorell ihre Widerstandsarbeit ruhen lassen, weil sie als Sanitäter an die "Ostfront" abkommandiert werden. Dort lernen sie Willi Graf näher kennen, der später ebenfalls Mitglied der "Weißen Rose" wird. Nach ihrer Rückkehr nehmen sie ihren Widerstandskampf wieder auf. Ende Januar 1943 erscheint das fünfte Flugblatt der "Weißen Rosen". Zum engeren Kern der Widerstandsbewegung gehören zu diesem Zeitpunkt auch Christoph Probst und Sophie Scholl, sowie der Universitätsprofessor Kurt Huber.

Nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad glaubt die Gruppe einen Stimmungsumschwung zu spüren. Im sechsten Flugblatt ruft Kurt Huber die deutsche Jugend zum Widerstand gegen Hitler auf. Ein Teil der Flugblätter wird wie zuvor auch per Post verschickt, den Großteil tragen Hans und Sophie Scholl jedoch am 18. Februar 1943 in einem Koffer und einer Aktentasche bei sich, als sie die Münchner Universität betreten. Im ersten und zweiten Stock legen sie vor den Hörsälen stapelweise Flugblätter aus, den Rest werfen sie von der Balustrade in den menschenleeren Lichthof. Dabei beobachtet sie der Hausschlosser der Universität und erklärt sie für verhaftet. Wenig später trifft die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ein und führt die Geschwister ab. Bei Hans Scholl finden die Beamten den Entwurf des siebten Flugblatts von Christoph Probst, der daraufhin ebenfalls verhaftet wird.

Hans Scholls Verhörprotokoll gleicht jedoch weniger einem Geständnis als vielmehr einem politischen Bekenntnis. Er habe einer "inneren Verpflichtung" folgen müssen und habe gewusst und auch damit gerechnet, dadurch sein Leben zu verlieren. "Hans Scholl war furchtlos entschlossen, der Gestapo so weitreichende Gedanken darzulegen. Er wollte ganz oder gar nicht leben", so Robert Zoske.

Am 22. Februar 1943 eröffnet der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, die Hauptverhandlung gegen Hans Fritz Scholl, Sophia Magdalena Scholl und Christoph Hermann Probst. Ihnen wird Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung vorgeworfen. Doch statt ängstlich vor dem tobenden Freisler zu kauern, bleiben die Angeklagten "von ihren Idealen erfüllt ruhig, gefasst, klar und tapfer", so der anwesende Gerichtsreferendar Leo Samberger. Keine drei Stunden später verkündet Freisler "im Namen des deutschen Volkes" die Todesurteile für die Geschwister Scholl und Probst.

Im Stadelheimer Gefängnis verabschieden sich die Geschwister getrennt voneinander von ihren Eltern. Vom evangelischen Gefängnisseelsorger Karl Alt lässt sich Hans Scholl das "Hohelied der Liebe" und den 90. Psalm vorlesen. An seine Eltern schreibt er: "Ich bin ganz stark und ruhig. […] Ich danke Euch, dass Ihr mir so ein reiches Leben geschenkt habt. Gott ist bei uns."

Um 17:02 wird Hans Scholl schließlich auf der Guillotine hingerichtet. Seine letzten Worte: "Es lebe die Freiheit!" Dieser als charismatischer, manchmal unüberlegt handelnder Draufgänger beschriebene junge Mann wird nur 24 Jahre und fünf Monate alt. Ohne ihn hätte es die "Weiße Rose" nie gegeben. "Die treibende Kraft, der kreative Kopf des Münchner studentischen Widerstands war eindeutig Hans Scholl", urteilt Zoske und kritisiert damit die verklärende Bewunderung, die vor allem Sophie Scholl entgegengebracht wird.

Als jemand, der den christlichen Glauben überzeugend gelebt hat, fasziniert Hans Scholl noch heute. "Er suchte keine Konfession, sondern das Wesen des Christentums. Sein Glaube ließ ihn mutig bekennen, treu beten, fröhlich glauben, brennend lieben und bewusst widerstehen", schreibt Robert Zoske, in Anlehnung an die Stuttgarter Schulderklärung der EKD. Lange hat der Theologe nach einer Erklärung dafür gesucht, warum Hans Scholl als Christ im Nationalsozialismus im Gegensatz zu so vielen anderen nicht versagt hat. Die Antwort, die er auf diese Frage gefunden hat, klingt bestechend einfach:  "Hans Scholl hat als Christ im Nationalsozialismus nicht versagt, weil er Glauben und Handeln zusammengebracht hat", sagt Robert Zoske.

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