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Freikirchen: Die Gemeinde Gottes

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Logo der Gemeinde Gottes Deutschland

Foto: PR

Geistesgaben sind ein wichtiges Element im Glauben der Pfingstkirche "Gemeinde Gottes", ihr Gottesdienst ist unkonventionell und lebendig. Wir stellen Entstehung, Struktur und Glaubensinhalte im Rahmen unserer Serie "Was glaubt ihr? evangelisch.de besucht Freikirchen" vor.

Die Gemeinde Gottes Deutschland entstammt einer der ältesten Pfingstbewegungen, der Church of God mit Sitz im nordamerikanischen Cleveland, Tennessee. Ihre Ursprünge nahm die Gemeinde Gottes, die sich nach dem 1. Korintherbrief benannt hat, in der  frühen Erweckungs- und Heiligungsbewegung.

In Deutschland gibt es 70 Gemeinden

Die ersten deutschen Gemeinden der Pfingstkirche entstanden Ende der 1930er Jahre in Süddeutschland. Der Bund Gemeinde Gottes in Deutschland wurde 1936 in Stuttgart gegründet. Impulsgeber war Herman Lauster. Lauster stammte ursprünglich aus Deutschland, war Mitte der 1920er Jahre in die Vereinigten Staaten emigriert und lebte in Grasonville, Maryland, als Farmer. Dort schloss er sich auch der Church of God an. Aufgrund einer göttlichen Vision sei er mit seiner Frau Lydia nach Deutschland zurückgekehrt. Lauster wurde im August 1938 von den Nationalsozialisten verhaftet und wegen seiner Predigertätigkeit für sieben Monate ins KZ Welzheim gebracht. Nach dem Ende des Krieges intensivierte er seine Tätigkeit als Prediger bis zu seinem Tod 1964. Die ersten Gemeindezeitschriften und Bibelseminare entstanden.

Weltweit ist die Gemeinde Gottes in 178 Ländern aktiv und hat rund 10 Millionen Mitglieder, wovon 750.000 in Europa leben. In Deutschland ist die Mitgliederzahl mit etwa 3.500 in über 70 Gemeinden eher gering. Hier agiert die Freikirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR).

"Charakteristisch für die Gemeinde Gottes ist bis heute, dass sie dem Heiligen Geist große Freiheit in den Versammlungen einräumt und einen biblischen Lebenswandel betont", heißt es auf der Website der Gemeinde Gottes. Der Heilige Geist drückt sich durch Geistesgaben wie Zungenreden aus. In vielen Gemeinden finden zudem regelmäßig Heilungsgebete statt.

Mitgliedschaft durch bewusste Entscheidung

Durch ihre vier Kernwerte sehen sie sich als Gemeinde des Wortes, des Heiligen Geistes, der Mission und der Heiligkeit. Als Grundlage für ihren Glauben gilt die Bibel. Die Exegese variiert in den Gemeinden von wörtlich bis hin zu gemäßigt historisch-kritisch. In ihrer Theologie sind die fünf pentekostalen Fundamentalien Heil, Heiligung, Geistestaufe, Heilung und die Heilserwartung von zentraler Bedeutung. Das Abendmahl feiert die Gemeinde Gottes etwa alle fünf Wochen symbolisch, es erfolgt also keine Wandlung. Sie erinnern sich zwar an das Opfer Jesu am Kreuz, blicken aber tendenziell eher nach vorne, um sich auf das Wiederkommen Christi vorzubereiten.

Die Mitgliedschaft in der Gemeinde Gottes ist an keine besonderen Bedingungen geknüpft. Sie muss aus freien Stücken heraus geschehen, also eine bewusste Entscheidung sein. Getauft werden daher auch nur Erwachsene. Die Prozedur geschieht durch Untertauchen. Eine Wiedertaufe bei Eintritt in die Gemeinde ist nicht nötig, sofern die Person zuvor schon bewusst getauft wurde.

Obwohl es einen Pastor gibt, der der Gemeinde vorsteht, lebt die Gemeinde nach dem Prinzip des Priestertums aller Gläubigen. Der Gemeindeleiter hat eine koordinierende und organisatorische Funktion inne. Die Organisation ist hierarchisch aufgebaut, funktioniert in den jeweiligen Gremien aber nicht autoritär, sondern demokratisch. Bei Bauentscheidungen oder Pastorenwechsel werden beispielsweise die Gemeindemitglieder miteinbezogen. Die Gemeindemitglieder treffen sich zudem außerhalb der Kirche in sogenannten Hauskreisen. Dort vertiefen sie beispielsweise im Gespräch das Thema der vorangegangenen Predigt.

Als Missionskonzept orientieren sie sich am Bibelvers "Suchet der Stadt Bestes", Jeremia 29,7. Sie wollen nicht nur von Liebe reden, sondern sie vor allem praktizieren. Das heißt, dass sich die Gemeinde Gottes aktiv in das Gesellschaftsleben einbringt und an Stadtfesten teilnimmt, Ermutigungsbroschüren verteilt oder Kinderfeste organisiert.

Gottesdienste finden oft zweisprachig statt

Frauen sind in Leitungsstrukturen teilweise eingebunden und dürfen predigen. Auf Pastorenebene gliedern sich die Pfingstgemeinden in drei Stufen: Pastoralassistenten, ordinierte Prediger und ordinierte Pastoren. Die letzte und oberste Stufe ist für Frauen verschlossen.

Die Pfingstgemeinden bekennen sich klar zum klassischen Familienbild. Sie lehnen die Ehescheidung ab, schließen Geschiedene aber nicht aus den Gemeinden aus. Ähnlich verhalten sie sich zur Homosexualität, die sie grundsätzlich als Sünde ansehen. Sie lehnen jedoch die Sünde an sich ab und nicht den Sünder als Person. Solange die sexuelle Orientierung also nicht ausgelebt werde, sei eine Mitgliedschaft in der Gemeinde möglich.

Die Gemeinden sind zentralistisch organisiert und unterstehen dem Bund "Gemeinde Gottes in Deutschland", auch Deutscher Bund genannt. Der Bund agiert eigenständig, ist aber eng mit den amerikanischen Pfingstlern vernetzt. Zweisprachige Gottesdienste sind daher keine Ausnahme. Sie bekennen sich zur Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD) und sind Mitglieder des Forums Freikirchlicher Pfingstgemeinden (FFP) sowie der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF).


Warum der Buß- und Bettag für Protestanten wichtig ist

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Wenn früher der Buß- und Bettag im Kalender stand, hatten Kinder in ganz Deutschland schulfrei. Erwachsene mussten nicht zur Arbeit. Heute ist das nicht mehr so. Trotzdem ist vielen Menschen der Termin wichtig.

Der Buß- und Bettag wird in diesem Jahr am 18. November gefeiert. Da dies ein Mittwoch ist, werden Kinder in die Schule gehen. Nur in Sachsen ist ein Feiertag. Vor 1995 hatten alle Kinder an dem Tag frei. Auch Erwachsene mussten nicht zur Arbeit. Damals aber wurde entschieden, dass der Feiertag abgeschafft wird. So kommt bis heute Geld rein, das zur Pflege von Kranken und alten Menschen verwendet werden kann.

Am Buß- und Bettag finden abends in vielen Orten Gottesdienste statt. Protestanten - also Christen, die zur evangelischen Kirche gehören - werden dann in die Kirche gehen. Sie nutzen den Buß- und Bettag, um nachzudenken. Sie überlegen, ob sie alles richtig gemacht haben. Sie fragen sich: Bin ich jemandem etwas schuldig geblieben? Lebe ich so, wie Gott es gefällt? Was passiert, wenn sie merken, dass etwas nicht in Ordnung ist? Sie sprechen es aus. Sie sagen es Gott. Sie bitten, dass er es vergibt. Sie glauben: Gott kann meine Fehler verzeihen. Auch die großen. Sie müssen mich nicht mehr bedrücken. Ich kann fröhlich meinen Weg gehen.

An dem Tag wird auch über Themen nachgedacht, die alle in Deutschland angehen. Läuft in unserer Gesellschaft alles richtig? Gibt es Dinge, die wir überdenken müssen? Es wird zum Beispiel angesprochen, dass einige Menschen etwas gegen Flüchtlinge haben. Sie hetzen gegen sie, anstatt zu helfen. Auch um die Zerstörung der Umwelt oder um Arme und Obdachlose geht es am Buß- und Bettag.

Eingeführt wurde der Buß- und Bettag 1532 in Straßburg. Katholische Christen feiern den Tag nicht. Die evangelische Kirche findet es bis heute nicht richtig, dass die Menschen an dem Tag nicht mehr frei haben und der Feiertag gestrichen wurde.

Was hat der Islam mit Gewalt zu tun?

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Experten in Deutschland geben unterschiedliche Antworten
Deutsche Ausgabe des Koran.

Foto: epd-bild/Ralf Maro

Nach islamistischen Anschlägen taucht immer wieder die Frage auf, ob sich die Terroristen mit Recht auf den Islam und den Koran berufen oder nicht. So auch jetzt nach der Terrorserie in Paris.

Während es in mancher Diskussion heißt, der Islam habe mit Gewalt nichts zu tun, bezeichnen einige Kritiker den Islam als grundsätzlich gewalttätig. Differenzierter wird die Diskussion auf theologischer Ebene geführt: Es gebe durchaus Stellen im Koran, die Gewalt propagierten, diese müssten aber im historischen Zusammenhang gelesen werden, lautet der Tenor.  

In Deutschland wurde die Diskussion in den vergangenen Monaten durch ein Buch des Publizisten Hamed Abdel-Samad befeuert. In "Mohamed. Eine Abrechnung" beschreibt der Politikwissenschaftler den Islam als eine Religion, deren Grundlage die Gewalt ist, weil ihr Prophet seinen Erfolg nur mit Hilfe von Massakern, Unterdrückung und Kriegszügen habe erreichen können. "Die letzten Suren des Korans legten mit ihrer Kriegsverherrlichung und Verdammung der Ungläubigen die Saat der Intoleranz, die bis heute fatale Auswirkungen hat", schreibt Abdel-Samad im Vorwort. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" sei "ein legitimes Kind von Mohamed, seinem Werk und seinen Aussagen", sagte er kürzlich in einem Streitgespräch mit dem islamischen Theologen Mouhanad Khorchide in der Zeitschrift "Herder Korrespondenz". 

Ähnlich argumentierte zu Beginn des Jahres kurz nach den Anschlägen auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt in Paris auch der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi: "Das Phänomen der Gewalt zieht sich durch die ganze Frühgeschichte des Islam", schrieb er in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung" und forderte dazu auf, die historischen Wurzeln religiöser Grausamkeiten stärker zu benennen.

Auch der islamische Theologe Mouhanad Khorchide bestreitet nicht, dass es im Koran gewalttätige Passagen gibt. Es mache "keinen Sinn zu sagen, der Islam habe nichts mit Gewalt zu tun", sagte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster in dem Streitgespräch mit Abdel-Samad.

Doch diese Passagen müssen Khorchides Ansicht nach, ähnlich wie die Gewaltstellen in der Bibel, in ihrem historischen Kontext gedeutet werden. So berufen sich laut Khorchide zum Beispiel diejenigen, die im Dschihad einen Verteidigungskrieg sähen, auf dieselben Verse im Koran wie die, die im Dschihad einen Angriffskrieg gegen Nicht-Muslime sähen, sagte er: "Daher brauchen wir klare Kriterien, damit wir nicht beliebig selektieren und sich jeder die Verse beziehungsweise die Interpretationen heraussucht, die gerade in sein Konzept passen."

Khorchides neues Buch "Gott glaubt an den Menschen" trägt den Untertitel "Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus". Er ist Mitbegründer des Muslimischen Forums Deutschland, in dem sich im März Wissenschaftler und Autoren zusammengeschlossen haben. In den "Berliner Thesen" des Forums heißt es: "Toleranz gegenüber gewalttätigen Fanatikern ist inakzeptabel." Zudem wird auch dort zu einer historisch-kritischen Methode in der Auslegung des Korans aufgerufen.

Appell für Redekunst in Kirche: Ökumenischer Predigtpreis verliehen

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Theologe Reiner Preul erhält den Ökumenischen Predigtpreis

Foto: epd-bild/Meike Böschemeyer

Preisskuptur des Ökumenischen Predigtpreises.

Der evangelische Theologe Reiner Preul (75) ist am Mittwoch in Bonn mit dem diesjährigen ökumenischen Predigtpreis ausgezeichnet worden.

Der Professor für Praktische Theologie und langjährige Kieler Universitätsprediger habe sich seit über 40 Jahren um die Predigtlehre verdient gemacht, hieß es in der Begründung der Jury.

Zudem wurden die württembergische Pfarrerin Gerlinde Feine und der Hamburger Pastor Martin Hofmann für ihre lebendigen und prägnanten Predigten ausgezeichnet. Den undotierten Preis in Form einer Bronzeskulptur vergibt der Verlag für die Deutsche Wirtschaft jährlich am Buß- und Bettag in der Schlosskirche der Universität Bonn.

Preul sei ein origineller Prediger, der aktuelle Erfahrungen mit evangelischem Geist durchdringe, so die Jury. Preul führe seine Hörer "auf den Wegen des Alltagslebens, und zeigt ihnen dies und das am Wegesrand des Lebens, Unscheinbares zuerst, das aber bei der näheren Beschreibung und Betrachtung immer mehr Gewicht bekommt", erklärte der Jury-Vorsitzende, der Bonner Universitätsprediger Reinhard Schmidt-Rost.

Preul lehrte seit 1975 in Marburg Praktische Theologie. Zu seinen Schwerpunkten gehören neben der Predigtlehre (Homiletik) vor allem die Religionspädagogik und die Kirchentheorie. Nach seiner Pensionierung im Jahr 2005 war Preul noch bis 2010 Universitätsprediger an der Universität Kiel.

Mit dem ökumenischen Predigtpreis fördert der Verlag für die Deutsche Wirtschaft seit dem Jahr 2000 die Redekunst in den Kirchen. Zu den bisherigen Preisträgern zählen unter anderem der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch (1925-2005), der Theologe Jörg Zink, der Schweizer Pfarrer und Lyriker Kurt Marti, die Theologin Margot Käßmann und der niederländische Dichter Huub Oosterhuis.

AHA - Das soll Buß- und Bettag

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AHA Beichte

Foto: Getty Images/iStockphoto/serdjophoto

Der Tag klingt nach gesenktem Kopf und Trübsal. Aber der Buß- und Bettag macht vor allem möglich, mit der eigenen Schuld so umzugehen, dass ein neuer Anfang möglich wird. Seit wann gibt es diesen Bußtag eigentlich? Und seit wann ist er kein Feiertag mehr? Wie sehr muss man büßen, damit einem die Schuld vergeben wird? Geht es nur um die eigenen Fehler oder auch um das, was unsere Gesellschaft falsch macht?

Was Sie eigentlich schon immer über Kirche, Glaube oder Religion wissen wollten, aber sich bislang vielleicht nicht zu fragen wagten... Claudius Grigat und Pfarrer Frank Muchlinsky sprechen über höchst Heiliges, kurios Kirchliches und scheinbar Selbstverständliches.

 

"Leute, kommt mal wieder auf den Teppich!"

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Interreligöser Dialog in Erlangen
Café Abraham in Erlangen

Foto: Michael Güthlein

Kaffeehaustradition trifft theologische Schriften: Diskussionsrunde im Café Abraham in Erlangen.

Im Café Abraham in Erlangen diskutieren Juden, Christen und Muslime über Gemeinsamkeiten und Unterschiede und machen sich stark gegen Extremismus und Fremdenhass. Nach den Anschlägen in Paris sehen sie ihre Aufgabe als umso wichtiger an.

Es ist ein wenig eng im verwinkelten Erlanger Teehaus, einem gemütlichen Café in der mittelfränkischen Großstadt. In einem der hinteren Zimmer quetschen sich ein paar Studenten um drei zusammengestellte Tische. Einer von ihnen gibt eine Tüte mit Datteln herum, die seine Eltern von der Pilgerfahrt aus Saudi-Arabien mitgebracht haben. Ein anderer erzählt währenddessen, warum Christen an Allerheiligen die Gräber ihrer Verstorbenen aufsuchen.

Zwischen den Tee- und Kaffeetassen liegen eine Bibel auf Deutsch und Hebräisch, ein Koran und Bücher wie "Streit um Abraham: Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint". Tatsächlich geht es den Anwesenden, die sich einmal wöchentlich als "Café Abraham" treffen, genau darum: über theologische Schriften diskutieren, Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Religionen aufzeigen und einfach miteinander Kaffee trinken.

"Wir haben uns gedacht: Warum sind Pegida und Co. dort am stärksten, wo am wenigsten Muslime sind?", fragt Fabian Schmidmeier, der das Café gemeinsam mit El Hadi Khelladi gegründet hat. Schmidmeier studiert in Erlangen den Master Nahoststudien mit dem Schwerpunkt Islam und Recht im vierten Semester. Khelladi ist Doktorand und Dialogbeauftragter beim Rat Muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) und fängt bald an, als Gefängnis-Imam in Hessen zu arbeiten.

Das Café Abraham hat seinen Ursprung im Internet. Khelladi hatte bereits 2007 die Idee eines Dialognetzwerkes namens "Muslimisch Jüdisch Christliches Freundschafts Forum", das er zunächst auf StudiVZ und später Facebook aufbaute. Das Projekt auch außerhalb der sozialen Netzwerke weiterzuführen hat nicht funktioniert. "Die Hoffnung, lokale Ableger an Uni-Standorten zu etablieren, hat sich leider nicht verwirklicht", bedauert Khelladi.

Fabian Schmidmeier ist Mitbegründer des Café Abraham.

Jahre später sei das Café dann als eigenständige Initiative aus einem Dialogkreis der Muslimischen Studierendengemeinschaft (MSG) in Erlangen hervorgegangen. Gemeinsam gründeten Schmidmeier, Khelladi und ihrem Studienkollegen Benjamin Moscovici im September 2014 die Initiative. "Die Verbrechen des Islamischen Staats, PEGIDA und die Anschläge auf Charlie Hebdo haben das Projekt dann befeuert", erklärt Schmidmeier. "Wir wollten ein klares, interreligiöses Zeichen gegen Hass, Extremismus und Gewalt setzen." Die Idee war es, an die europäische Kaffeehaustradition anzuknüpfen und sich in einem lockeren Rahmen über religiöse, gesellschaftliche und politische Ansichten auszutauschen. "Leute, die sonst vielleicht nie zusammengekommen wären, sollten so zusammenkommen können", sagt Khelladi.

Auch die jüngsten Anschläge in Paris haben die Mitglieder der Gruppe erschüttert. Spontan haben sie sich zu Mahnwachen in die Stadt begeben, um Solidarität zu zeigen und dass sie sich von solchen Ereignissen nicht verunsichern lassen. Sie stellten Kerzen auf, hielten die französische, die deutsche und die Flagge der Europäischen Union hoch. Auf einem Banner stand "Juden, Christen, Muslime gemeinsam gegen Terror und Hass". Das habe ihnen viel Zuspruch eingebracht, manche Passanten stellten sich einfach eine Weile dazu. Doch von anderen seien sie auch angepöbelt worden, erzählt Schmidmeier. "Gerade jetzt brauchen wir so viel interreligiösen Dialog wie nie zuvor", sagt die 25-jährige Katharina Jahn, die wie Schmidmeier den Master Nahoststudien studiert und erst neu zu der Gruppe gestoßen ist.

Mahnwache in der Innenstadt von Erlangen.

"Natürlich diskutieren wir hier auf einem gewissen intellektuellen Level und erreichen nicht die breite Masse", sagt Schmidmeier. "Aber die Ergebnisse unserer Diskussionsrunden können wir wiederum nach außen tragen." Schmidmeier hält beispielsweise Vorträge bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftungüber Islam und Extremismus. "Das Publikum sind eher ältere, konservative Bürger", sagt er. "Aber gerade die Konservativen sind oft bibelfest und erkennen schnell die theologischen Gemeinsamkeiten." Zu Beginn seiner Vorträge herrsche meist Unsicherheit, aber auch großes Interesse. "Die meisten sind nicht böswillig voreingenommen." Aus Verunsicherung werde Interesse und aus Interesse Akzeptanz, erklärt er. "Je eher ich merke, dass mich und mein Gegenüber mehr Gemeinsamkeiten verbinden als Gegensätze trennen, desto weniger kann ich eigentlich gegen ihn sein", sagt Schmidmeier.

Mitbegründer Khelladi bemüht sich zudem um nationale und internationale Vernetzung. Die Initiative steht in engem Kontakt mit Organisationen wie Rat Muslimischer Studierender und Akademiker, der European Union of Independent Students and Academics (EUISA) oder dem Radicalisation Awareness Network (RAN) und erreicht so Gleichgesinnte in Deutschland und Europa.

Religionen nicht gegeneinander ausspielen

Als Nebeneffekt schreibt sich das Projekt Deradikalisierungsarbeit auf die Fahne. Das Café Abraham sei ja auch ein Statement, meint Khelladi: "Leute, kommt mal wieder auf den Teppich!" Der Dialog funktioniere dabei präventiv. "Natürlich kann der reine Dialog überzeugte Rechtsradikale und indoktrinierte Islamisten nicht einfach so deradikalisieren", sagt Khelladi. "Dafür braucht es andere Herangehensweisen." Aber bei unschlüssigen Menschen helfe es schon, sein Gegenüber besser kennen zu lernen.

Gerade nach Paris sei das Wichtigste weiterhin Aufklärung, betont Schmidmeier. "Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen", sagt er. "Gläubige aller Religionen und Nichtgläubige aller Länder müssen sich gemeinsam gegen den Terror stellen."

Chaymae Khelladi ist die Schwester von Mitbegründer El Hadi Khelladi.

Bei den Treffen beschäftigen sich die Teilnehmer zwar hauptsächlich mit den drei abrahamitischen Religionen, Angehörige anderer Religionen oder Konfessionslose sind aber auch jederzeit eingeladen. "Wir hatten schon viele Atheisten hier", berichtet Schmidmeier. "Es geht nicht nur darum, theologische Texte zu diskutieren, sondern darum, einfach mal ins Gespräch zu kommen." Im Café Abraham gibt es keine Tabus. "Wir sind hier sehr offen miteinander und können auch unangenehme Themen problemlos ansprechen", sagt die 21-jährige Studentin Chaymae Khelladi, die von Anfang an bei der Initiative dabei war.

Freundschaft und Toleranz trotz anderer Ansichten

Nicht bei allen Diskussionen kommen die Teilnehmer auf einen Nenner. Beim Thema Kopftuch zum Beispiel. "Es ist ja nicht unser Ziel, eine Friede-Freude-Eierkuchen-Plattform zu sein, sondern auch Unterschiede kennen zu lernen", sagt Schmidmeier. Wichtig sei, diese Unterschiede als gleichberechtigt anzuerkennen und nebeneinander bestehen zu lassen. "Die Trinität des Christentums ist zum Beispiel theologisch unvereinbar mit dem Monotheismus des Islam, aber das ist kein Grund, sich an die Gurgel zu gehen." Respekt, Freundschaft und Toleranz könnten auch trotz unterschiedlicher Ansichten bestehen.

Bei einem lockeren Teetreffen soll es nicht bleiben. Schmidmeier und Khelladi haben größere Pläne. "Wir wollen das Café Abraham in den nächsten zwei Jahren zu einer Beratungsstelle für Deradikalisierung inklusive eigenem Büro ausbauen", erzählt Schmidmeier. Trotzdem bleibt im Kern eine simple Botschaft, meint Khelladi: "Wenn man zusammen Kaffee trinkt und fundiert über ein Thema redet, kommt schnell der Gedanke auf: Hey, mein Gegenüber ist ja eigentlich ganz in Ordnung – egal welche Religion er hat."

Volker Jung: "Ich bin evangelisch, weil..."

Evangelischer Theologe Klaus-Peter Hertzsch gestorben

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Der evangelische Theologe und Dichter Klaus-Peter Hertzsch ist am Mittwoch in Jena im Alter von 85 Jahren gestorben. Dies bestätigte die Evangelische Fakultät der Universität Jena am Donnerstag.

Hertzsch war durch seine literarischen Texte und biblischen Balladen bekannt geworden. Die Universität würdigte den Verstorbenen als "hoch geachteten Mittler zwischen Wissenschaft und Kirche". Generationen von Studierenden habe Hertzsch mit seinem außergewöhnlichen Charisma geprägt und für die praktische Arbeit im Pfarramt vorbereitet, heißt es in einem Nachruf.

Hertzsch wurde am 23. September 1930 in einem von den "Religiösen Sozialisten" geprägten Elternhaus in Eisenach geboren. Von 1949 bis 1955 studierte er in Jena Theologie. Nach einem zweijährigen Stipendium beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf wurde er 1957 ordiniert. Danach war er zunächst Gemeindepfarrer und Konviktinspektor in Jena, von 1959 bis 1966 Studentenpfarrer und Leiter der Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinden der DDR in Berlin.

An der Universität Jena war Hertzsch bis zu seiner Emeritierung 1995 Professor für Praktische Theologie. Über viele Jahre gehörte der Theologe der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und der Thüringer Landessynode an. Er beteiligte sich auch an der "Christlichen Friedenskonferenz".

In Ost und West ist Hertzsch bekanntgeworden mit einem Band biblischer Gedichte. Dieser erschien zuerst unter dem Titel "Wie schön war die Stadt Ninive" in der DDR und später mit dem Titel "Der ganze Fisch war voll Gesang" in der Bundesrepublik. Darin erzählt er Geschichten aus dem Alten Testament in Versform. Eines seiner späteren Gedichte "Vertraut den neuen Wegen", das 1989 für den Traugottesdienst eines seiner Patenkinder entstand, wurde ins Evangelische Gesangbuch aufgenommen.

Hertzsch war der erste Träger der Martin-Luther-Medaille des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), mit der bis zum Reformationsjubiläum Personen für herausragendes Engagement für den deutschen Protestantismus geehrt werden. Er habe mit seinen Predigten, Bibelarbeiten und Vorträgen, mit Gedichten und Liedern und durch seine Person "die Schönheit, Wahrheit und Klarheit des Evangeliums erschlossen", hieß es zur Begründung. 


Neuer Kirchenkalender im Internet

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Ein neuer liturgischer Online-Kalender steht im Internet. Zum Start des neuen Kirchenjahrs am kommenden ersten Adventssonntag biete die bayerische evangelische Landeskirche (ELKB) den Kalender zusammen mit der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) an, teilte die ELKB am Donnerstag mit.

Der Service ist im Netz unter zwei Adressen zu finden: www.gottesdienst-verstehen.de und www.kirchenjahr-evangelisch.de. Über eine interaktive Schaltfläche kann der Kalender auch in Homepages eingebunden werden, hieß es.

Der Kalender ist ein Nachschlagewerk für die relevanten Feiertage im evangelischen Kirchenjahr. Für alle Sonn- und Feiertage stelle man Lesungstexte, Wochenlieder zum Nachhören, Psalmen, Predigttexte und das vorgelesene Evangelium zur Verfügung, so die Landeskirche.

Alltagsblätter wegschieben, Advent riechen: So schreibt man gute Andachten

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Ein Stück freie Rasenfläche umgeben von Laub.

Foto: Getty Images/iStockphoto/schulzie

Stimmungsbild in der Adventsandacht: Herbstblätter beiseite schieben, um eine "Lichtung" zu entdecken.

Beim Schreiben einer Andacht kommt es darauf an, Stimmungen zu erzeugen, ohne mit den Formulierungen zu übertreiben. Vikarinnen und Vikare im Predigerseminar Loccum lernen das bei dem Theologen und Schriftsteller Heinz Kattner. "Seien Sie Sie selbst", lautet dessen wichtigster Rat. Cornelia Kurth durfte bei der Textkritik zuhören.

"Eine Predigt zu schreiben, ist etwas Intimes", sagt Heinz Kattner. "Sie verrät Intimeres über den Verfasser als manches persönliche Gespräch." Umso erstaunlicher, dass Kattners Schüler und Schülerinnen am Predigerseminar in Loccum, alle um die dreißig Jahre alt und im Vikariat stehend, gar keine Scheu davor haben, dass eine Reporterin dabei ist, wenn sie sich einzeln von ihrem Lehrer eine Rückmeldung abholen. Ihre Aufgabe bestand darin, eine kurzen Andachtstext zum Thema "Advent" zu schreiben, etwa so, wie man ihn samstags in vielen Tageszeitungen unter dem Obertitel "Angedacht" vorfindet. Eine Art Kolumne also, die den Leser nicht nur auf der Verstandes-, sondern auch auf der Gefühlsebene ansprechen, die berührend, aber nicht kitschig sein, die klug, doch nicht gelehrt daherkommen soll, kurz, die "andächtig" machen will.

"Das ist eine durchaus hohe Kunst", so Heinz Kattner. 68 Jahre alt ist der Theologe, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Dozent, seit 35 tätig in der Aus- und Fortbildung unter anderem von jungen Theologen, denen er nahebringen will, bei ihren Predigten nicht in das berüchtigte "Salbadern" zu verfallen. Einer seiner wichtigsten Ratschläge: "Seien Sie Sie selbst!" Die größte Verführung bestehe nämlich darin, in eine anonyme Kanzelsprache zu verfallen ("Gott lädt uns ein, Gott will uns Mut machen"), oder in das Gegenteil einer unnachvollziehbar blumigen Sprache ("Ihr Atem tänzelt in der Kälte wie eine Ballerina").

Sanfte Kritik am Text, nicht an der Person

Da treten sie also nacheinander ein in das holzgetäfelte "Drei-Kaiser-Zimmer" des Predigerseminars im Kloster Loccum, die jungen Vikare und Vikarinnen. Die Bildnisse dreier erhabener Kaiser schmücken die Wände dieses hohen Raumes, und fast wie ein vierter Kaiser sitzt Kattner etwas versunken in seinem Stuhl, vor sich die ausgedruckten Andachten, den Blick ruhig und freundlich auf den jeweils Eintretenden gerichtet. Einen Abend und einen Tag hatte er Zeit, die insgesamt achtzehn Texte mit Anmerkungen zu versehen. Eine Viertelstunde steht jetzt für jedes einzelne Gespräch zur Verfügung.

Textkritik im Predigerseminar Loccum: Heinz Kattner und eine Vikarin.

Es sind so unterschiedliche Menschen mit so unterschiedlichen Texten, auf die Kattner sich einlässt. Der eine beugt sich vertraulich und selbstsicher zum Lehrer vor, die andere hält sich eher steif und auf Abstand bedacht auf ihrem Stuhl; manche treten mit fröhlichem Lächeln ein, andere strahlen aus, dass sie sich der Qualität ihres Textes bewusst sind. Obwohl auf jeden eine Kritik zukommt, spürt man, dass die jungen Theologen Vertrauen haben zum Alten. Jeder wird sich nach seinem Gespräch herzlich bedanken, jeder wird etwas dazugelernt haben, niemand verlässt den Raum in gekränkter Stimmung.

"Eigentlich gehört das Predigen zur Substanz der Ausbildung", sagt Kattner. "Doch an der Uni wird kaum über einzelne Predigttexte gesprochen. Predigten zu kritisieren ist vergleichbar damit, ein Gedicht zu kritisieren. Den Betroffenen kommt es schnell so vor, als richte sich die Kritik am Text zugleich gegen ihre Person."

Heinz Kattner schlägt einen sanften Weg der Kritik ein. Vorsichtig formuliert er den Anspruch, den die Vikare und Vikarinnen an sich selbst und ihre Andacht stellen. "Sie sind so eine Stimmungs-Person, nicht wahr?" sagt er etwa zur 28jährigen Vikarin Henrike Lüers, die sofort bestätigt: "Ja! Ich mache beim Schreiben auch immer Musik an." Er kennt sie aus den vorherigen Seminartagen und er kennt jedes einzelne Wort ihres Textes, in dem sie gegensätzliche winterliche Stimmungen einfängt. Sie will ihre Leser in diese Stimmungen hineinziehen, damit ihre Schlusspointe um so tiefer wirken möge.

Ihre Pointe ist gut - ein Vergleich von Herbstblättern mit "Alltagsblättern", die man beiseite schiebt, um eine "Lichtung" zu entdecken. Doch ob Ausdrücke wie "wohlige Wärme" oder "das Leben ist von Schnee bedeckt" ein echtes Stimmungsbild entstehen lassen? Kann ein Ort funkeln, wie Hendrike Lüers es schreibt? Die Vikarin muss lachen, so offensichtlich ist, dass sie sich bei ihren Beschreibungen auf genau solche Phrasen eingelassen hat, mit denen man die Gefühle, die man wecken will, geradezu abtötet. Doch was ein guter Lehrer ist, der wischt einen kritisierten Text nicht mit einer Handbewegung fort. Hier und da ein Adjektiv streichen, aus dem schneebedeckten Leben ein "überall liegt Schnee" machen, und schon regt Henrike Lüers Andacht die Phantasie des Lesers an und wird zu einem echten Stimmungsbild.

"Man kann nur etwas verändern, wenn man würdigt, was da ist", sagt Heinz Kattner. So macht er es auch beim Text von Julian Wyrwa, einem ernst und sehr nachdenklich wirkenden Mann. Beim Gang über einen Adventsmarkt entdeckt das "Andachts-Ich" eine Weihnachtskrippe, deren Geruch nach Holz und Stroh ihn an die Krippe zu Bethlehem erinnert. Wie kann sowas unter der geplanten Überschrift "Geruch unserer Zeit" für die Leser nachvollziehbar werden? Im ruhigen Gespräch hin und her wird der Text von überhöhenden Metaphern befreit, ohne ihm den "altmodischen Duktus" zu nehmen, der nun mal zur Persönlichkeit des Vikars gehört.

Nicht belehren, sondern berühren

Vikarin Kristin Köhler erzählt in ihrer Andacht von einem Mann, der grübelnd wach liegt, weil er weiß, dass nicht er der Vater des Kindes ist, mit dem seine Frau schwanger ist. Auch hier fällt es leicht, aus dem insgesamt sehr gradlinigen Text die eine oder andere "Soap"-Formulierung zu entfernen ("Sie zog mich in ihren Bann"), um dann eine in Kattners Augen für predigtähnliche Texte geradezu vorbildliche Stärke zu betonen: Kristin Köhler hat darauf verzichtet, die offensichtliche Analogie zum Verhältnis von Maria und Josef zu ziehen. "Weder Leser noch Zuhörer wollen ja bevormundet werden", sagt er.

Er sieht es so: Ein Pastor muss nicht belehren, er muss auch nicht jedes Wort, dass er sagt, auf Gottes Wort beziehen oder überhaupt sich als Missionar betätigen. Wer diesen Anspruch fahren lässt und einfach versucht, die Menschen mit Wahrnehmungen, Geschichten und Erfahrungen zu berühren, die in sich die christlichen Werte beleben, der läuft auch nicht so schnell Gefahr, in das "Salbadern" oder "Kirchsprech" zu verfallen. Die Andacht von Vikar Ralf Altebockwinkel kann das schön bestätigen.

Der war sich zunächst sehr unsicher über die Angemessenheit seines Textes gewesen, weil er fürchtete, er sei mehr eine bloße Erzählung als eine Andacht. Bei einem Besuch in den USA lernte er den Brauch kennen, einem ahnungslosen Menschen vor Weihnachten zwölf Tage lang per Klingelstreich immer ein kleines Geschenk vor die Tür zu legen. Sein Freund und er wählten dafür, weil es ihnen lustig vorkam, eine skurrile alte Frau aus. Am Weihnachtstag sprach die Frau sie an, erzählte vom Tod ihres Mannes und wie glücklich sie die Aufmerksamkeiten gemacht hätten. "Da begriff ich erstmals wirklich den Sinn von Weihnachtsgeschenken", so heißt es in der Andacht.

Ein Adventskalender, bestehend aus den Andachten der Vikare, wird vor Weihnachten auf den jeweiligen Seiten der Evangelischen Landeskirchen erscheinen.

Christina Aus der Au: "Ich bin evangelisch, weil..."

"Gibt es die in echt, die Engel?"

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Engelhimmel im Engelmuseum

Foto: Nicki Brühl

Der Engelhimmel im Engelmuseum

Das gerade eröffnete erste deutsche Engelmuseum in Engelskirchen liegt im Trend. Denn der Glaube an Engel hat Hochsaison. Und er weckt Fragen: Wie real sind Engel eigentlich?

Der erste Hingucker ist die kunstvoll bemalte himmelblaue Decke mit den vielen Wölkchen, unter denen Heerscharen goldener Engel niederschweben. Im ersten deutschen Engelmuseum, das Mitte November in Engelskirchen am Engelsplatz 7 seine Pforten geöffnet hat, wimmelt es von Engeln in allen Farben, Formen, Größen und Materialien. Sie schweben, stehen, liegen und sitzen in Vitrinen und Regalen und bevölkern jeden Winkel des Raumes. Zu den besonderen Kostbarkeiten der Ausstellung zählt die etwa 3000 Jahre alte geflügelte 1,8 Zentimeter kleine bronzene Engelplastik aus Mesopotamien. Sie zeigt: Der Glaube an Engel ist nichts spezifisch Christliches. Engel gibt es auch im Judentum und im Islam, und auch andere Religionen kennen solche Geist- und Schutzwesen schon seit Jahrtausenden.

Der größte Teil der in Engelskirchen gezeigten 2000 Exponate stammt aus einer Schenkung des "engelbesessen" Sammlers Johann Fischer aus Engeldorf. 2009 vermachte er dem Engelskirchener Engelverein seine immense private Sammlung von über 15.000 Exponaten, mit der er es 2009 ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte.

Das Engelmuseum in Engelskirchen

Museumspädagogin Martina Kupper betont, dass das ehrenamtlich betriebene Museum das Thema Engel "weltanschaulich neutral" darstellt und keinen wissenschaftlichen Anspruch erfüllten will. "Wir wollen Museum für alle sein", sagt sie. Und so sind sie alle gleichermaßen willkommen: Esoteriker, die glauben, mittels ihres "Engelrufers", den sie als Schmuckstück um den Hals tragen, ihren persönlichen Schutzengel herbeirufen zu können; Enkel-Skeptiker, die die geflügelten Himmelswesen unter der Kategorie Märchen und Mythen ablegen; oder Christen, für die die Weihnachtsgeschichte ohne Engel nicht vorstellbar ist.

"Engel sind die Träger des Wortes Gottes"

Martina Kupper hat mit sieben Schwerpunkten "Ordnung" in die Engelwelt des Museums gebracht: So gibt es die Abteilungen Engel in Glaube, Religion und Volksfrömmigkeit, Engel in der Weihnachtszeit, Grab und Todesengel, Engel in Kitsch, Krempel und Kuriositäten, Engel in der Kunst und nicht zuletzt Engel in der Werbung, die mit Vorliebe weiblich, blondgelockt und jung präsentiert werden.

Besucherin Hilla Stahl gehört zu den zahlreichen Gästen, die von den Schutzengel-Exponaten in der Abteilung "Volksglaube" fasziniert sind. Die Seniorin steht vor einem der Bilder, auf denen rührende langhaarige weibliche Engelfiguren in wallenden leichten Gewändern schützend ihre Fittiche über gefährdete Kinder oder über Soldaten halten. "Ich habe auch einen Schutzengel. Meine Mutter begleitet mich überall hin. Das spüre ich", erklärt sie lächelnd. Glauben zu können, dass ihre verstorbene Mutter sie als Engel schützend begleitet, sei für sie sehr tröstlich, erzählt Hilla Stahl.

Auch Erstklässler Sven ist mit seiner Schulklasse im Rahmen eines Kunstprojektes im "außerschulischen Lernort Museum" unterwegs. Den ganzen Morgen hat er mit seiner Kleingruppe Suchaufgaben zum Thema Engel gelöst, mit denen Kinder spielerisch durch das Museum geführt werden. Aber jetzt, am Ende der Tour, will Sven es wissen: "Gibt es die in echt, die Engel?" fragt er seine Lehrerin. "Das ist eine gute Frage", antwortet sie und verspricht: "Darüber reden wir im Reliunterricht."

Singer Engel - 1965

Die Frage, ob es einen persönlichen Schutzengel gibt, beantworten 48 Prozent der Deutschen mit "Ja". Ein Drittel glaubt, dass Engel Boten Gottes sind, und etwa 10 Prozent geben an, schon einmal das Eingreifen eines Engels erlebt zu haben.

Vorbei sind offenbar die Zeiten, in denen der Kirchenhistoriker Carl August von Hase im Zeichen der Aufklärung Engel als "metaphysische Fledermäuse" ins Reich der Mythen verbannte. Noch im theologischen Begriffslexikon der 1970er Jahre ist zu lesen "Der Gedanke an Engelwesen bereitet dem Menschen heute Verlegenheit … Sobald man aber diesem Kinderglauben entwächst, wird auch der Glaube aufgegeben, dass Engel tatsächlich existieren." Engel, so sind sich Theologen weithin einig, gehören ins antike Weltbild. Mild belächelt wird, wer Engel mit Verweis auf die Bibel als Realität versteht. Der Theologe Klaus Berger dagegen betont: "Über 300 Mal wird in der Bibel von Engeln erzählt als unsichtbaren Mächten oder Wesen, die in Gottes Dienst stehen und den Menschen im Namen Gottes helfen. Engel sind die Träger des Wortes Gottes. Er verwaltet durch sie die Welt, über sie nimmt er mit der Welt Kontakt auf."

Eine wachsende Zahl kirchenferner Menschen, die mit Gott und Jesus nichts anfangen können, hat keineswegs ein Problem damit, an einen Engel als persönlichen Begleiter zu glauben. Jenseits wissenschaftlicher Beweisbarkeit suchen Menschen nach Beseelung und Beflügelung. Sie wollen das Gefühl haben, inmitten ihres zerbrechlichen, gefährdeten Lebens von höchster Stelle begleitet und beschützt zu sein. "Menschen brauchen heute mehr denn je einen Gegenpol zur nüchternen Alltagswelt, zur sozialen Kälte in unserer Gesellschaft", so der Dogmatikprofessor Thomas Ruster in einem Vortrag zu den Hintergründen des boomenden esoterischen Engelglaubens. Hunderte Engelbücher mit Erfahrungsberichten und Anleitungen zum Umgang mit Engeln füllen die Regale, und in teuren Engelseminaren kann man lernen, wie man mit seinem persönlichen Engel Kontakt aufnimmt.

Engel aus Mesopotamien - 1000

"Weithin hat sich der Engelglaube völlig vom christlichen Glauben an Gott und der Christologie gelöst", bedauert der promovierte Theologe Klaus Wolff, der als kulturgeschichtlicher Literaturwissenschaftler an der Universität Hildesheim lehrt und sich seit 30 Jahren als Angelologe (Engelforscher) mit dem Thema Engel beschäftigt. Für den 59-Jährigen sind Engel "eine reale Wirklichkeit", die er nicht der Esoterik überlassen will, sondern "die (wieder) mitten hinein in die Kirche und den christlichen Glauben gehören". In den Exponaten des Engelmuseums findet er Erfahrungen vieler tausend Menschen wieder. "Einen naturwissenschaftlichen Beweis für die Existenz von Engeln gibt es natürlich nicht. Aber Tausende Menschen, die von heilsamen Engelerfahrungen berichten, können nicht alle irren", urteilt er. Dass Engel, "deren wahre Gestalt wir nicht kennen", in der Kunst vielfältig dargestellt werden, hält Wolff für hilfreich. "Denn wir brauchen Bilder, die in symbolischer Sprache mit uns sprechen."

"Eine Wirklichkeit der Seele"

Auch von eigenen Engelerscheinungen und dramatischer Bewahrung durch Engel in seiner Kindheit kann Wolff erzählen. "Jeder Mensch hat einen Schutzengel als Wegbegleiter", zeigt er sich überzeugt. Heute allerdings sind solche Rettungs-Erfahrungen nicht entscheidend für ihn. "In einem schönen Gespräch mit einem Menschen, in einem Naturerlebnis kann die Stimme eines Engels als Zwischenton Gottes erfahrbar werden. Engel schützen unser innerstes Selbst."

Für den Benediktinerpater und Engelbuch-Autor Anselm Grün sind Engel "erfahrbare, von Gott geschaffene personale Mächte, die mein Personsein schützen, aber keine Personen, die man anrufen kann". Ein Engel kann für ihn "ein innerer Impuls, ein Traum, ein Einfall oder ein Mensch sein, der mir im richtigen Augenblick begegnet". Irgendwie bleibt Grün damit – genau wie die Engel unter der Museumsdecke – in der Schwebe: "Wenn man zu genau wissen will, was Engel sind, dann fliegen sie weg. Nicht umsonst haben die Künstler den Engeln Flügeln gegeben", lächelt er.

Der lutherisch geprägte Klaus Wolff möchte die Engel zurück in die Kirche holen, die er weithin als "überaus rational und vernünftig und so wenig heimelig erlebt". Die Wirklichkeit der Engel ist für ihn "eine Wirklichkeit der Seele – aber davon ist unsere Kirche noch meilenweit entfernt", bedauert er. Im Blick auf esoterischen Engelglauben oder auf die biblisch nicht belegte Vorstellung, dass etwa Verstorbene zu Schutzengeln werden, wünscht der Theologe seiner Kirche "ein weiteres Herz". Er sieht darin die Chance, "dass Menschen die Wahrheit der Engel wieder entdecken, die von Gott kommen und zu Gott führen". Und was, wenn ein Mensch trotz Schutzengel nicht an Leib und Seele unversehrt bleibt? Für Wolff lässt sich die Frage nach dem Leid nicht "logisch wie in der Mathematik klären". "Der Engel steht nicht dafür, dass es uns immer gut geht, sondern dafür, dass es selbst in den Grenzsituationen des Lebens, hinter allem Zerbruch und allem Schrecklichen, noch so etwas gibt wie die Liebe Gottes."

Nicht ohne das Alte Testament

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Ein Lesezeichen liegt über einer aufgeschlagen Bibelseite, auf der "Das alte Testament" steht.

Foto: imago/Steinach

Wie viel Altes Testament braucht die christliche Kirche? Einer Diskussion in Berlin blieb ausgerechnet ihr Auslöser, Professor Notger Slenczka, fern. Die anwesenden Theologen - christliche und jüdische - debattierten trotzdem und fanden: Na klar braucht die Kirche das Alte Testament.

Es fing mit einem Artikel in dem Marburger Jahrbuch Theologie XXV im Jahr 2013 an. Dort schrieb Notger Slenczka, Professor für systematische Theologie an der evangelischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität, über "Die Kirche und das Alte Testament". Das fiel zunächst keinem weiter auf, bis, ja bis der deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Alarm schlug, zwei Jahre später! Seit Frühjahr 2015 ist die Debatte im Gange. Denn Slenczka fordert nichts weniger als dass das Alte Testament "eine kanonische Geltung in der Kirche nicht haben sollte", zumindest als akademische Gedankenübung.

Seitdem ist die Aufregung groß. Theologische Kollegen bis hin zu Bischöfen mehrerer Landeskirchen haben sich von Slenczkas Thesen distanziert und diesen scharf angegriffen. Dieser vermisste im Gegenzug die fehlende Bereitschaft zum akademisch-theologischen Diskurs. Dieser sollte jetzt in der Evangelischen Akademie zu Berlin gepflegt werden. Nur Notger Slenczka selbst blieb diesem überraschenderweise fern - trotz vorher gegebener Zusage. Aber auch ohne ihn fand ein fruchtbarer Gedankenaustausch statt: Wie viel Altes Testament braucht die christliche Kirche?

Der Berliner Theologe Rolf Schieder jedenfalls scheut sich nicht, die Positionen seines Kollegen Notger Slenczka zu zitieren. Es gebe durchaus auch Bedenkenswertes an dessen Thesen, zum Beispiel, dass die Verheißungen und Gebote des Alten Testamentes nun einmal ausschließlich Israel und nicht der Kirche gelten. Dass sich Christen also sozusagen in diesen exklusiven Bund hinein mogeln wollten.

"Ich will ganz deutlich sagen, dass ich an dieser Stelle an der Seite von Notger Slenczka stehe und meine, er hat an dieser Stelle einen sehr sehr starken Punkt gemacht, über den wir in den christlichen Kirchen nachdenken müssen. Also Respekt, dass wir das Alte Testament zunächst als das Glaubensdokument des Judentums ansehen und nicht besinnungslos Texte adaptieren, die nicht für uns gemeint sind", sagt Schieder.

"Von der Treue Gottes, die sich durchhält"

So gebe es unter vielen Christen eine gewisse Israel-Vergessenheit, zum Beispiel bei den Worten "Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Friede" (4. Mose 6, 24-26). Das seien die Worte, die Gott dem Aaron gegeben habe, um sie zum Volk Israel zu sprechen. Dass Christen diesen Segen heute auch benutzten, liege daran, dass sie sich mit Jesus Christus in die Heilsgeschichte des biblischen Gottes mit eingeschlossen fühlten. Schieder kennt allerdings Kollegen, "die, nachdem sie darüber intensiv nachgedacht haben", nur noch den trinitarischen Segen sprechen, also die Worte: "Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist."

Aus den Überlegungen aber zu schließen, dass das Alte Testament für die christliche Kirche nun nicht mehr so wichtig sei und daher auch nicht mehr zum Kanon der Bibel zu gehören habe, wehrt Schieder entschieden ab. Denn man würde die vielen Textbezüge in Evangelien, Briefen, in Apokalypse oder der Apostelgeschichte gar nicht ohne das Alte Testament verstehen können. Allein im ersten Kapitel des Neuen Testamentes verweist der Stammbaum Jesu auf dessen Verwandtschaft zum König David. Was wäre die christliche Religion beispielsweise ohne deren Anbindung an die Schöpfungsgeschichte, die Psalmen oder die Propheten?

"Ich selber verstehe das Alte Testament als eine Schrift, die uns sehr viel von der Untreue des Menschen berichtet und von der Treue Gottes, die sich gleichwohl durchhält. Insofern sind auch viele Textpassagen gar nicht zum nachahmen oder normativ gemeint, sondern sie klären uns schlichtweg darüber auf, wozu Menschen fähig sind. Als solches möchte ich auf das Alte Testament unter keinen Umständen verzichten", erklärt Rolf Schieder.

Nun aber habe Slenczka im 21. Jahrhundert mit seinem Artikel an die unseligen Zeiten des deutschen Kulturprotestantismus des 19. bis 20. Jahrhunderts angeknüpft, der in Teilen als antijudaistisch einzustufen ist. Für Friedrich Schleiermacher (1768-1834) etwa war das Alte Testament lediglich das "Zeugnis einer Stammesreligion mit partikularen Anspruch", das die "Universalität des Religiösen" noch nicht zum Ausdruck bringe, die "eben erst in Jesus von Nazareth erfasst" werde. Die jüdischen Texte seien nur noch eine "theologische Hinterlassenschaft." Für Adolf von Harnack (1851-1930) galt das Judentum als überwunden. Die Religion Jesu habe sich zu einer sittlich höheren Stufe entwickelt, indem sie die bedingungslose und universale Vaterliebe Gottes verkünde. Also empfahl von Harnack, das Alte Testament aus dem christlichen Kanon zu entfernen. Dass Slenczka nun 70 Jahre nach der Shoa diese Gedanken wieder aufgreift, sorgt in der jüdischen Gemeinschaft für Unruhe.

Rache-Gott gegen Gnade-Gott ist zu einfach

"Slenczka ist ein Fortsetzer dieser antijudaistischen Züge der früheren Theologen. Schleiermacher spricht von einer theologischen Hinterlassenschaft. Das ist eine Herabwürdigung auch der Hinterlasser, die nicht mehr relevant sind und in so weit kann man diese auch schon ad acta tun", warnt Joel Berger, ehemaliger Landesrabbiner von Württemberg.

Auch der Berliner Rabbiner Andreas Nachama sieht die innerprotestantische Debatte mit Skepsis und Sorge. Schließlich könne vom deutschen Kulturprotestantismus eine direkte Linie zu den Deutschen Christen gezogen werden, die alles Jüdische aus der christlichen Bibel und Religion verbannen wollten: "Dass die Christen in Deutschland jetzt zur Position der Deutschen Christen im Dritten Reich zurückkehren, dass sie die Hebräische Bibel, das Alte Testament wieder verbannen wollen, das wird über kurz oder lang wieder dazu führen, dass es einen arischen Jesus geben soll." Auch nach Jahrzehnten scheine der jüdisch-christliche Dialog immer noch ein zartes Pflänzchen zu sein, befürchtet Nachama. Sonst könne solch längst als überwunden geglaubte christliche Theologie gegen die jüdische Religion nicht wieder wie jetzt bei Slenczka artikuliert werden.

Alexander Deeg, Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig, erlebt in den Gemeinden auch eine gewisse neue Begeisterung für das Alte Testament. Daher werde die neue Perikopenordnung, die die Predigttexte für die Gottesdienste vorgibt, künftig doppelt so viele Texte aus dem AT aufweisen als früher. Er empfiehlt, bisher kaum gepredigte Texte wieder neu für sich wahrzunehmen, "eben Texte auch zu lesen, die auf den ersten Blick verstören, die als fremde Texte erscheinen und vielleicht gerade deshalb ganz neue Perspektiven eröffnen können". So habe er zum Beispiel Gesetzestexte mit Gruppen in Gemeinden neu gelesen, "die Speisegesetze aus dem Dritten Buch Mose Kapitel 11 etwa, wenn ich mich plötzlich befrage, wie gehe ich denn mit mir und meinen Lebensmitteln auf dieser Welt um?" Man könne dabei "entdeckten, dass die Bibel uns Anstöße gibt", sagt Deeg.

Die alte kulturprotestantische Vereinseitigung, dort der strafend zornige Rache-Gott Israels, hier der nur gnädige Gott der Liebe im Neuen Testament, muss jedenfalls als überholt gelten. Allein schon die Formel "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ziele eben nicht auf archaische Blutrache, sondern geradezu modern auf einen humanen Rechtsausgleich auf materieller Ebene. Wolle man also die ganze Tiefe und Fülle der monotheistischen Religion erfahren, so seien Christen auf das Alte Testament geradezu angewiesen, sagt Deeg: "In der Tat kann es eine Gefahr geben, dass vor allem wir Christenmenschen uns ein viel zu einfaches Bild des immer lieben und irgendwie gnädig zugewandten Gottes bauen. Dann brauchen wir Texte, die einen Gott zeigen, der als Richter der Gerechte und doch zugleich der Gnädige ist. Das ist sowohl realistischer als auch hoffnungsfroher als ein zu einfaches Bild."

EKD will Lehramtsstudiengänge Religion weiterentwickeln

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Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat Empfehlungen zur Fortentwicklung der Lehramtsstudiengänge Religion vorgelegt.

Damit werde auf die Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor-Modell in den meisten Bundesländern reagiert, teilte die EKD am Donnerstag in Hannover mit.

"Guter Religionsunterricht lebt immer auch davon, dass er von glaubwürdigen Personen unterrichtet wird. Besonders in der eigenen Auseinandersetzung mit Glaubensüberzeugungen spielt für Kinder und Jugendliche die Person der Unterrichtenden eine wichtige Rolle", schreibt der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm im Vorwort.



Die Empfehlungen zur "Theologisch-Religionspädagogischen Kompetenz" richten sich an Fakultäten, Fachbereiche und Institute. Sie wurden von Experten aus Kirchen und theologischen Fakultäten erarbeitet.

Özdemir kritisiert Islamverbände

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Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir hat erneut den Einfluss der Türkei auf die islamische Theologie in Deutschland kritisiert.

"Es ist nicht akzeptabel, dass der türkische Staatspräsident darüber entscheidet, welche Interpretation des Islam auch hier in Deutschland die legitime ist", sagt Özdemir der in Berlin erscheinenden "tageszeitung" (Wochenendausgabe).

Die meisten organisierten Muslime in Deutschland gehörten zu Gemeinden des Dachverbandes Ditib. Ditib untersteht allerdings dem Religionsministerium der Türkei, Vorsitzender sei immer ein türkischer Botschaftsrat. De facto sei damit oberster Theologe also der türkische Präsident, sagte Özdemir. "Ankara muss die Muslime freigeben. Wir müssen darauf bestehen", fügte der Grünen-Politiker hinzu.

Özdemir sprach sich erneut gegen eine Anerkennung der vier Islamverbände im Koordinationsrat der Muslime als Religionsgemeinschaften zum jetzigen Zeitpunkt aus: "Bei denen stehen ganz eindeutig Herkunftsland, Sprache oder Politik im Zentrum, nicht aber die Religion, wie es das Recht in Deutschland vorsieht." Es handele sich also eher um migrantische Organisationen als um Glaubensgemeinschaften.

Hinzu komme, so Özdemir weiter, dass nur etwa ein Viertel der rund vier Millionen Muslime in Deutschland sich von einem der vier Islamverbände vertreten fühle. "Kurzum, die Verbände müssen sich weiterentwickeln", betonte der Grünen-Parteichef. Die Islamverbände sind bislang nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt und kämpfen seit Jahren um die Gleichstellung mit christlichen Kirchen und dem Zentralrat der Juden.


Johannes Friedrich: "Ich bin evangelisch, weil..."

Martin Luthers Christkind verdrängte den Nikolaus

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Martin Luther feiert Weihnachten im Kreise seiner Familie

Foto: epd-bild/akg-images

Der Reformator soll den Anstoß für das Christkind gegeben haben.

Martin Luther lehnte die Heiligenverehrung und damit den Heiligen Nikolaus ab. Der Reformator soll den Anstoß für das Christkind gegeben haben. Heute, knapp 500 Jahre später, kehrt das evangelische Christkind in katholische Wohnzimmer ein, und der Weihnachtsmann beschenkt mittlerweile evangelische Kinder.

Blondgelockt, engelhaft, im weißen Kleid und mit Heiligenschein abgebildet, schleicht sich das Christkind unbemerkt in die Wohnzimmer, versteckt Geschenke unter dem Weihnachtsbaum und erlangt seinen festen Platz in Kinderherzen. Das war nicht immer so und ist heute längst nicht mehr überall der Fall. Das Christkind hat eine wechselhafte Geschichte. Martin Luther soll die engelhafte Figur als protestantischen Gegenentwurf zum Heiligen Nikolaus erfunden haben, weil er die Heiligenverehrung der Katholiken abschaffen, zugleich aber nicht auf den Brauch des Schenkens verzichten wolle.

Ursprünglich wurden nämlich die Kinder vom Heiligen Bischof aus Myra am 6. Dezember beschenkt. Mit dem Heiligen Nikolaus sollten die Kinder an die Heiligenverehrung herangeführt werden. Was im Mittelalter gelebtes Brauchtum war, bekam mit Martin Luthers Reformation Flügel. Der Reformator brach im Allgemeinen nicht nur mit der Kirche in Rom, sondern im Einzelnen auch mit der Heiligenverehrung. So soll im 16. Jahrhundert die Idee vom Christkind als Ersatz für Sankt Nikolaus aufgekommen sein.

Mit der Reformation verblasste die Figur des Heiligen Nikolaus, seine Verehrung in Bildern, und das Feiern seines Wirkens in Umzügen und Schauspielen. Frei wurde der Posten als Geschenkebringer. Für diese Aufgabe wurde das Christkind auserkoren. Wobei die ganze zeitliche Entwicklung immer noch in der wissenschaftlichen Diskussion steht.

Martin Luther soll das Christkind erfunden haben

Auch für Martin Luther soll Nikolaus zunächst der anerkannte Gabenspender der Kinder gewesen, der noch im dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in seinem Hause bescherte, stellte die Volkskundlerin Erika Kohler fest. Eine Hausrechnung von den Eheleuten Luther belegt eine Ausgabe für "Niclasgeschenke". Kohler schlussfolgerte: "Unter dem Einfluss des Reformators, dessen Anhänger später sogar Verbote für die Nikolausbescherung erließen, musste sich der Umzugsbrauch des Heiligen wandeln, wenn er nicht aussterben sollte, wie es in bestimmten Räumen geschah."

So heißt es in den Schriften Martin Luthers: "Gleichwie man die kindlin gewenet, das sie fasten und beten und jr kleiderlin des nachtes ausbreiten, das jn das Christkindlin odder Sanct Nicolas bescheren sol." Neben dem Heiligen Nikolaus erwähnte Luther bereits das Christkind als Gabenbringer. Einige Autoren behaupten sogar, der Reformator höchstpersönlich habe das Christkind erfunden. Dafür gibt es allerdings keinen Beleg und auch die Forschungsmeinungen gehen in dieser Frage auseinander.

Erika Kohler stellte in ihrer Untersuchung über "Martin Luther und der Festbauch" fest, dass Luther seit 1531 in seiner Familie im Namen des "Heiligen Christ" bescherte. Mit seiner ablehnenden Haltung zur Heiligenverehrung soll er den Heiligen Nikolaus als Gabenbringer verdrängt haben. Je weiter sich die Reformation ausbreitete, umso mehr wurde St. Nikolaus durch das Christkind ersetzt. Evangelische Geistliche gingen lange Zeit gegen den Nikolausbrauch vor. Martin Bohemus predigte 1608: "daß etliche Eltern den Kindern etwas auf das Bett legen und sagen: Sankt Nikolaus hat es beschert, welches ein böser Brauch ist, weil dadurch die Kinder zum Heiligen gewiesen werden, da wir doch wissen, daß nicht Sankt Niklas, sondern das heilige Christkindlein alles Gute an Leib und Seele bescheret, welches wir auch allein darum anrufen sollten."

Luthers Christkind ist nicht der neugeborene Jesus

Die Volkskundlerin Kohler war der Ansicht, dass an Hand der Verbote, die von den Verwaltungen protestantischer Städte erlassen wurden, zu ermitteln wäre, in welchem Maße mit der zunehmenden Ausbreitung der Reformation das Christkind den Heiligen Nikolaus verdrängte. So soll etwa auf Anraten des Münsterpfarrers der Straßburger Magistrat im Jahr 1570 beschlossen haben, die Nikolausumzüge zu verbieten, um den Kindern einzuschärfen, dass nicht der Heilige, sondern das Christkind, die Geschenke bringe. Noch zu Beginn der Reformation im 16. Jahrhundert wurde die Geburt Christi ausschließlich innerhalb der Kirche gefeiert. Dieses Fest im eigenen Haus zu feiern war unüblich und in evangelischen Gegenden eher Bessergestellten vorenthalten. Dort sollte das Christkind die Kinder beschenken und nicht wie in katholischen Gebieten der Nikolaus.

Wer ist aber nun der "Heilige Christ", von dem Luther spricht? Nach dem Ethnologen Bernhard Schmelz entspricht diese Figur nicht dem neugeborenen Jesuskind, wie man zunächst annehmen könnte, sondern hat seinen Ursprung in den Engeln oder engelähnlichen Gestalten von Krippenspielen und Weihnachtsumzügen. Diese seien von Mädchen in weißen Gewändern gespielt worden, man habe die weiße Farbe als Hinweis auf Reinheit und Unschuld der Figur gewählt. Dieses "Christkind"übernahm nach und nach in protestantischen, dann auch in katholischen Gebieten den vakant gewordenen Posten des Geschenkebringers. Seither bringt das engelhafte Christkind die Geschenke heimlich in der Nacht, so wie es ursprünglich der Nikolaus getan hatte.

Die Jenaer Volkskundlerin Sabine Wienker-Piepho sagt, dass Martin Luther die Erfindung des Christkindes angestoßen habe, andere hätten es ausgeführt: "Das war ein kultureller Prozess." Als Geschenkebringer eroberte das Christkind zunächst das evangelische Deutschland und zu Beginn des 20. Jahrhunderts das katholische Bayern und Rheinland. Eine volkskundliche Umfrage von 1932 ergab, dass das ursprünglich evangelische Christkind als Geschenkebringer vorwiegend in katholische Wohnzimmer einkehrte, während der vom ursprünglich katholischen Nikolaus abgeleitete Weihnachtsmann diese Aufgabe in den evangelischen Regionen Deutschlands übernahm.

Der Weihnachtsmann drängte das Christkind aus dem protestantischen Weihnachten

Für die Volkskunde schlug Ingeborg Weber-Kellermann 1978 eine regionale Trennung vor: Während das Christkind eher in West- und Süddeutschland, dem südlichen Thüringen und in Sachsen als Gabenbringer angesehen wurde, war in den meisten Teilen Mittel- und Norddeutschlands, aber auch in einigen ostdeutschen Landstrichen, der Weihnachtsmann für die Vergabe der Geschenke zuständig. "Das Christkind hat einen starken Form- und Funktionswandel durchgemacht", sagt der Regensburger Volkskundler Gunther Hirschfelder. Im protestantischen Weihnachtsbrauch spielte das Christkind eine immer geringere Rolle und wurde vom säkularisierten Weihnachtsmann verdrängt.

Der Coca-Cola-Konzern griff 1931 mit seiner Darstellung des Alten mit Rauschebart in dem rot-weißen Kostüm auf eine Zeichnung des US-Grafikers Thomas Nast in der Zeitschrift "Haper's Weekly" in der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Heute sind viele Weihnachtsbräuche überkonfessionell. In der Vorweihnachtszeit schreiben zahlreiche Kinder Briefe mit ihren Wünschen an das Christkind. Extra dafür eingerichtete Weihnachtspostämter beantworten sie. Ein touristischer Erfolg ist der Nürnberger Christkindlesmarkt. Seine Anfänge reichen bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück. Seine Strahlkraft reicht bis nach Chicago. Dort reist das gewählte Nürnberger Christkind nämlich hin, um das dort veranstaltete "Christmas Village" zu eröffnen.

Hirschfelder: "Das Christkind ist heute anzüglich geworden"

Der Regensburger Volkskundler Gunther Hirschfelder stellt fest, dass sich das Christkind heute nicht so gut medial vermarkten lässt wie der Weihnachtsmann. Und selbst dieser habe in diesem Jahr Konkurrenz durch den Winter-Bär von Lindt und die Schneemann-Figur von Milka bekommen. In Bezug auf Schenken und Kaufen sei das Christkind medial nicht gut darstellbar, sagt Hirschfelder. In der Sprache der Medien- und Werbeindustrie sei das Christkind eine junge Figur, zwischen 14 und 16 Jahren, leicht bekleidet und androgyn bis weiblich. Durch unsere permanente Sexualisierung von Bildern und Inhalten sei das mädchenhafte Christkind anzüglich geworden. Und Weihnachten sei immer winterlicher geworden. "Das Christkind können Sie aber nicht winterlich machen, weil es immer leicht bekleidet ist und sich von der Formensprache vom Engel ableitet. Ein Engel mit Wintermantel geht nicht." In der Werbeindustrie sei der Engel mittlerweile durch einen durch die Luft fliegenden Rentierschlitten ersetzt worden.

Hirschfelder beobachtet, dass zunehmend christliche Worte und Elemente aus dem Weihnachtsgeschäft gedrängt werden. Auf dem Bonner Weihnachtsmarkt tauche beispielsweise das Wort "Christ" nur einmal auf: auf einem Mülleimer mit dem Schriftzug "Merry Christmas". Der zentrale Markt auf dem Münchner Flughafen hieße "Wintermarkt". Viele Menschen brächten heute Weihnachten nicht mehr automatisch mit Christus in Verbindung, die Krippe sei stark auf dem Rückzug auf kommerziellen Weihnachtsmärkten. Selbst der Stern von Bethlehem sei mancherorts mittlerweile zur Schneeflocke geworden.

 

Trost für Männer und andere Gotteskinder

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Jahreslosung 2016

Foto: meisterdragon - Fotolia

"Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet" (Jesaja 66,13), so lautet die Jahreslosung für 2016. In dem Vers erscheint Gott in einer Mutterrolle, und der getröstet wird, ist ein gestandener Mann: Trost brauchen eben nicht nur Kinder und alte Menschen. Jemanden trösten heißt, ihm nahekommen und mitleiden. Wer getröstet wurde, kann gestärkt und mit neuem Vertrauen weiterleben.

"Wir versuchen immer ein bisschen abzuwechseln zwischen der Richtung der Verse", sagt Wolfang Baur vom katholischen Bibelwerk, Vorsitzender der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen, die die Losungen für jedes Jahr auswählt. "2015 hatten wir einen ermahnenden Vers, 2016 einen erbaulichen, aufmunternden." Für das neue Jahr also eine Portion Trost von Gott.

Der Vers stammt aus dem dritten Teil des Jesajabuches, dessen Autor Tritojesaja genannt wird – er ist nicht zugleich Autor der beiden ersten Jesaja-Teile. Tritojesaja (Kapitel 56-66) spricht zum Volk Israel nach dessen Rückkehr aus dem babylonischen Exil in die alte Heimat. Das Volk hatte nach dem Exil eine Heilszeit erwartet, doch davon ist zunächst nichts zu bemerken, "…wir harren auf Recht, so ist's nicht da, auf Heil, so ist's ferne von uns" (Jesaja 59,11) klagen sie. Der Neuanfang gestaltet sich mühsam, die Gesellschaft ist gespalten und von Ungerechtigkeiten geprägt. Der Prophet verspricht nun dem Volk, dass die erwartete Heilszeit noch kommen wird – Voraussetzung ist aber, dass Unterdrückung und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft aufhören.

Dieser Kontext darf heute ruhig mitgelesen werden mit der Jahreslosung, die sich ja an eine Gemeinschaft - "euch" - wendet: "Angesichts der aktuellen Diskussionen in Europa über Aufnahmequoten für Flüchtlinge, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen und den Bau von Zäunen innerhalb und außerhalb des Schengen-Raumes ist die Auswahl gerade dieses Verses als Jahreslosung 2016 geradezu prophetisch zu nennen", schreibt Pfarrerin Britta Jüngst in ihrer Bibelarbeit zu dem Vers. Auch Wolfgang Baur findet es immer wieder erstaunlich, dass die Verse, die drei Jahre im Voraus gewählt werden, plötzlich im richtigen Moment an die Reihe kommen. "Wir wussten damals noch nicht von der Flüchtlings-Problematik", sagt Baur, "aber der passt jetzt gut in die Zeit. Im Moment gibt es sehr viele Menschen in der Welt, die Trost brauchen und aufgebaut werden sollten."

"Ihn kleiner sein lassen, als er ist"

Der Vers spricht nicht nur ein Kollektiv, sondern auch einzelne Menschen an und wirkt beinahe intim: "Wie einen seine Mutter tröstet." Tritojesaja legt hier Gott Worte in den Mund, mit denen er sich selbst in eine Frauenrolle versetzt. Zwei Verse zuvor wird das Weibliche noch drastischer ausgemalt: "Nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes." Gott als Mutter? Das Bild kann zunächst irritieren. "Im Alten Testament wird Gott vielfach als der Harte, der Grausame, der Kämpfer gesehen", erläutert Wolfgang Baur, auch König, Herrscher oder Richter sind typische Männerrollen, "das Mütterliche ist aber ein wesentliches Attribut Gottes im Alten Testament." Gerade Jesaja habe sich "immer schon im Widerspruch befunden zu einer Gottesrede, die Gott auf nur ein Geschlecht, eine Dimension, ein Bild festlegen will", schreibt Britta Jüngst. "Jesaja kennt eine Fülle von Gottesbildern", zum Beispiel auch Vogelmutter (31, 5) oder Hebamme (66,9).

In anderen biblischen Texten ist der weibliche Aspekt Gottes kunstvoll verborgen: So steckt in dem hebräischen Wort für Barmherzigkeit oder Erbarmen, rachama, das Wort rächäm drin – und das bedeutet Gebärmutter. Die Barmherzigkeit Gottes kann also umschrieben werden als eine fürsorgende und Leben spendende Liebe, die den Menschen ganz umfängt, nährt und schützt. Wolfgang Baur sieht darin "das mütterliche Gefühl für den Menschen, den sie geboren hat". Auch im hebräischen Verb für trösten, nicham, schwingt der Aspekt von Nähe und Mitgefühl mit: Es bedeutet auch heftig atmen, tief seufzen. "Den andern auf- und durchatmen lassen", schlägt der Pfarrer und Direktor des Wuppertaler Johanneum, Burkhard Weber, in seiner Auslegung zur Jahreslosung vor, oder auch: "Dem anderen so nahe sein, das er meinen Atem spürt und ich seinen."

Wer ist dieser andere? Fast alle deutschen Übersetzungen lassen in Vers 13 ein Substantiv weg, das aber von Bedeutung sein könnte. Wörtlich steht im Hebräischen: "Wie einen Mann, den seine Mutter tröstet …". Natürlich kann "Mann" hier als "Mensch" gelesen werden – trotzdem ist klar: Da steht nicht etwa "Kind". Sondern derjenige, der Trost empfängt, ist ein erwachsener, vermeintlich starker und selbstsicherer Mensch, der "seinen Mann steht". Sollte der etwa Trost brauchen? Trost sei kein "Spezialthema für die ganz frühe Kindheitsphase und Sterben oder Trauern", schreibt die Pädagogin Martina Walter in einem Aufsatz zur Jahreslosung. "Not, Angst, Schmerz, Einsamkeit und andere Situationen, in denen wir uns nach Trost sehnen, sind … nicht auf die Extreme unserer Existenz beschränkt, sondern reichen mitten hinein in unseren konkreten Lebensalltag."

Wer getröstet wird, darf wieder wie ein Kind sein, und wer tröstet, wie eine Mutter. Nach dem Tod seiner Frau schrieb der Theologe und Religionspädagoge Fulbert Steffensky: "Einen Menschen trösten heißt, ihn bedürftig sein zu lassen; ihn weinen zu lassen; ihn kleiner sein zu lassen, als er ist." Trost ist mehr als ein Trostpflaster, eine Vertröstung, ein dahergesagtes "Das wird schon wieder". Echter Trost ist empathisch. Wer tröstet, leidet mit, hält aus, bleibt da. Trost hat eine Dimension der körperlichen Nähe: Gesten und Berührungen, Umarmungen und das Abwischen der Tränen wirken tröstend und vermitteln Geborgenheit.

Trost heißt auch Vertrauen

Auch Worte können Trost spenden, davon zeugt die Bibel selbst. Von Trost durch Gott ist bei den Propheten und in den Psalmen immer wieder die Rede: "Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott", heißt es zum Beispiel in Jesaja 40,1. "Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil", bekennt der Beter des 73. Psalms. In Psalm 119 ist es explizit Gottes Wort, das tröstet: "Das ist mein Trost in meinem Elend, dass dein Wort mich erquickt" (Vers 50) und "HERR, wenn ich an deine ewigen Ordnungen denke, so werde ich getröstet" (Vers 52). In Psalm 23 fühlt sich der Beter in schwerer Zeit durch Gottes Anwesenheit beschützt: "… du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich" (Vers 4). Dass auch Vergebung trösten kann, belegt Jesaja 38,17: "Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück."

Im Neuen Testament verspricht Jesus seinen Nachfolgern: "Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe" (Johannes 14,26). Getröstet werden nach Jesu Verheißung besonders die Leidtragenden (Matthäus 5,4). Der Apostel Paulus spricht in Römer 15,4 vom "Trost der Schrift" und widmet dem "Gott allen Trostes" ganzen Absatz des zweiten Korintherbriefes, in dem er seiner Hoffnung auf Trost "in aller unserer Trübsal" Ausdruck verleiht (2. Korinther 1,3-11).

Das griechische Wort paraklesis im Neuen Testament hat neben Trost übrigens die Bedeutung Zuspruch, Ermunterung. Das deutsche Wort Trost lässt sich auch mit innere Festigkeit übersetzen, es ist verwandt mit treu und trauen, hat also auch mit Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung zu tun. Trost, so das Biblische Wörterbuch von Brockhaus, umfasst die "Heilung des ganzen Menschen, Stärkung, ja Neubelebung". Die Klinikseelsorgerin Kristina Schnürle formuliert in ihrer Auslegung: "Wer trostlos ist, dem entgleitet der Boden unter den Füßen." Wer getröstet ist, gewinnt wieder Standfestigkeit. Besonders schön kommt der Bedeutungsumfang von Trost im Zusammenhang mit Gottvertrauen in der ersten Frage und Antwort des Heidelberger Katechismus zum Ausdruck: "Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre …"

Am 6. Januar ist noch einmal Weihnachten

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Zu "Epiphanias" geht es um mehr als drei Könige
Heilige Drei Könige

Foto: epd-bild/akg-images

Heute kennen wir den 6. Januar unter dem Namen "Heilige Drei Könige". Es wird die Ankunft der Magier gefeiert, die dem Stern über Bethlehem folgten, der sie zum frisch geborenen Jesuskind führte. Doch diese Geschichte ist nur eine unter anderen, die mit dem ursprünglichen Fest zu diesem Datum verbunden sind, denn es ging bei "Epiphanias", wie das christliche Fest eigentlich heißt, darum, dass sich in diesem Menschen, Jesus von Nazareth, Gott zeigt. Epiphanias ist im Grunde ein weiteres Weihnachtsfest.

Noch bevor die Christenheit am 25. Dezember Weihnachten feierte, gab es bereits das Fest Epiphanias. Epiphanias ist das Fest der "Erscheinung des Herrn". Wörtlich bedeutet Epiphanias so viel wie: Gott "zeigt" (griechisch: phaino) "auf" (griechisch: epi) Jesus als den Messias. Wie und wann genau dieses Fest entstanden ist, liegt im Dunkel der Geschichte verborgen. Handfeste Belege für Epiphanias stammen erst aus dem letzten Viertel des 4. Jahrhunderts, doch muss davon ausgegangen werden, dass man auch schon lange davor die "Erscheinung des Herrn" an diesem Datum feierte.

Von Anfang an hat es mehrere Festinhalte gegeben: Die antiken Quellen bezeugen, dass an diesem Tag die Geburt Jesu (Lukas 2,1-21) gefeiert wurde und gleichzeitig seine Taufe (Matthäus 3,13-17). So ist es in Ägypten belegt. Doch waren beispielsweise auf Zypern am 6. Tag des neuen Jahres neben der Geburt Jesu die Ankunft der Magier (Matthäus 2,1-12) und die Hochzeit zu Kana (Johannes 2,1-12) die Inhalte des Epiphaniasfestes. In Jerusalem hingegen ging es ausschließlich um Jesu Geburt.

Warum mag die Christenheit darauf gekommen sein, an einem einzigen Datum so viele verschiedene Inhalte zu feiern? Der Grund ist in der Aussage zu suchen, die uns heute so einfach zu Weihnachten über die Lippen kommt, wenn gesagt wird: "Gott wird Mensch". Dieser kleine Satz ist aber für antike Ohren eine so unglaubliche Vorstellung, dass man mehrere Aspekte brauchte, die das deutlich machen. Das galt besonders für den griechisch-sprachigen, östlichen Teil der Christenheit, in dem man den Glauben auch philosophisch durchdringen wollte. Für einen Menschen, der in diesen philosophischen Kategorien dachte, war es unvorstellbar, dass ein Gott als Kind geboren werden konnte.

Der Beleg der Göttlichkeit Jesu

So wurden andere biblische Zeugnisse hinzugezogen, um die Göttlichkeit Jesu zu belegen. Zu der Geburtsgeschichte, die wir von Weihnachten her kennen, gesellten sich als "Weihnachtsgeschichten" diese, in denen Gott, der immer noch "im Himmel" sitzt, zu Jesus sagt: Der da ist tatsächlich mein Sohn – so in den Geschichten von der Taufe Jesu. Zusätzlich brauchte es auch andere Menschen, die der Eingebung Gottes gefolgt sind, und die nun zu Jesus sagen: Der da ist es – wie die Magier aus dem Osten. Und nicht zuletzt musste Jesus sich selbst durch seine Macht als der Sohn Gottes erweisen – wie er es mit dem ersten Wunder im Johannesevangelium tut, als er Wasser in Wein verwandelt.

Im lateinisch-sprachigen, westlichen Teil der Christenheit wurde Theologie weniger von der Philosophie her betrieben. Hier ging es vielmehr um Seelsorge, die Feier des Gottesdienstes und Mission. Im Westen bildete sich das Weihnachtsfest aus, wie wir es bis heute feiern: Am 25. Dezember mit dem einzigen Schwerpunkt auf der Geburt Jesu. Das Epiphaniasfest wurde in Italien zwar auch gefeiert, allerdings mit den Schwerpunkten auf der Anbetung durch die Magier und auf der Taufe Jesu.

Als sich 1054 die Westkirche von den Ostkirchen trennte, behielten beide Kirchen ihre Schwerpunkte des Epiphaniasfestes bei. In den orthodoxen Ostkirchen wird noch heute am 6. Januar die Geburt Jesu gefeiert. In der katholischen Kirche wurde vor allem die Anbetung durch die Magier immer populärer. Das wurde durch die Legende von den Drei Heiligen Königen unterstützt. Nach dieser Legende waren die Magier drei Könige mit Namen Caspar, Melchior und Baltasar.

Als der deutsche Kaiser Barbarossa 1158 die Stadt Mailand einnahm, brachte er als Beute auch die in Mailand verehrten Gebeine mit, die die Knochen der drei Königen sein sollten. Diese Reliquien schenkte er 1164 dem Erzbischof von Köln. Dort werden sie bis heute aufbewahrt und sind seit Jahrhunderten ein beliebtes Ziel für Wallfahrten.

Martin Luther konnte sich nicht durchsetzen

Martin Luther wollte das Epiphaniasfest vor allem zum Fest der Taufe Jesu machen und das Fest, das sich mittlerweile in Deutschland zum Fest der Heiligen Drei Könige gewandelt hatte, entsprechend umbenennen. Das hat sich – auch in der evangelischen Kirche – nicht durchgesetzt. Wir nennen den 6. Januar zwar mit dem alten Namen Epiphanias, doch ist bis heute in den lutherischen Kirchen die Anbetung Jesu durch die Magier der Evangeliumstext, also der Haupttext für den Gottesdienst.

Auch die anderen Texte haben sich in den evangelischen Gottesdiensten erhalten. So ist die Taufe Jesu der Evangeliumstext für den ersten Sonntag nach Epiphanias, die Hochzeit zu Kana ist für den zweiten Sonntag nach Epiphanias vorgesehen.

Die Glaubensaussage, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist, dass Gott Mensch geworden ist, kann gut mehrere Festtage vertragen – den, an dem wir feiern, dass Gott tatsächlich als Kind geboren wurde und den, an dem wir feiern, dass dieses Kind von Gott als sein Sohn bestätigt wurde. Nach der kurzen Epiphaniaszeit geht es dann in die Passionszeit, in der sich das Christentum besinnt, wie Ernst Gott es mit seinem Menschsein wirklich gemeint hat.

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