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"Die Wahrheit gehört Gott"

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EKD-Vizepräsident Gundlach über den Bibelstreit mit Evangelikalen
Kreuze

Foto: Getty Images/Purestock

Das Christentum hat viele Facetten

Vizepräsident Thies Gundlach vom EKD-Kirchenamt weist den Vorwurf zurück, in der evangelischen Kirche würden Irrlehren vertreten. Es gehöre "zum großen Garten Gottes", dass in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verschiedene Glaubenshaltungen vertreten seien. Gundlach reagiert damit auf Äußerungen von Michael Diener, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, der in den Rat der EKD gewählt wurde.

Im glaubenskonservativen Spektrum der evangelischen Kirche gibt es eine Kontroverse darüber, welchen Kurs evangelikale Christen verfolgen sollen. Anlass sind Äußerungen von Michael Diener, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und Ratsmitglied der EKD, in einem Interview zur Haltung der evangelikalen Bewegung zur EKD, zu Homosexualität und zu Mission. Wie bewerten Sie diese Auseinandersetzung? Was bedeutet der Streit im evangelikalen Lager für das Verhältnis der unterschiedlichen Frömmigkeitsstile im deutschen Protestantismus?

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Thies Gundlach
Thies Gundlach (geboren 1956) ist einer der drei theologischen Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD. Er leitet die Hauptabteilung "Kirchliche Handlungsfelder und Bildung" und darin das Referat "Theologische Grundsatzfragen".
Thies Gundlach: Ich habe eine Art Déjà-vu-Erlebnis; in den 80er Jahren gab es schwere Auseinandersetzungen zwischen den Evangelikalen und vielen anderen Christen um die Fragen zur theologischen Bedeutung und Bewertung von Homosexualität. 30 Jahre später steigen die gleichen Akteure mit den gleichen Argumenten noch einmal in den Ring und sehen wieder den Glauben in Gefahr. Die Schärfe dieser Intervention heute lässt mich vermuten, dass sich darin auch viel Enttäuschung ausdrückt, weil der damalige Kampf doch letztlich vergeblich war. Eine differenzierte Sichtweise der Bibel und das Wissen um die Vielfalt der Auslegungswege sind damals wie heute nicht mit Machtworten der Eindeutigkeit oder mit Beschwörung von Bekenntnistreue vom Tisch zu wischen.

Wie ist der Streit über die Wahrheitsfrage stattdessen auszutragen?

Gundlach:
Die Bibel ist Gottes Wort, aber dieses Wort ist in die Welt zum Menschen gekommen und bedarf darum der menschlichen Kunst der Auslegung. Und haben wir in unserer Kirche dafür nicht längst eine andere Art von Diskurs erreicht: Suchend nach dem jeweiligen Wahrheitsmoment des anderen, fragend nach der bleibenden Gemeinschaft in allen Unterschieden, hoffend auf eine Zuversicht, die ebenso selbstkritisch und reflektiert wie bibeltreu und bekenntnisstark ist? Ich bedaure den nun von manchen angeschlagenen scharfen Ton, denn mit Michael Dieners Wahl in den Rat der EKD ist doch sichtbar geworden, dass die EKD sehr offen ist für unterschiedliche Frömmigkeitsstile. 

In seiner Kritik an Diener fordert der langjährige CVJM-Generalsekretär Ulrich Parzany "entschiedenen Widerstand gegen die Irrlehren", die in den evangelischen Kirchen vertreten und gefördert würden. Er regt zum Reformationsjubiläum 2017 einen bundesweiten "Bekenntnistag" an, der zur Orientierung der Christen beitragen und gegen bibelkritische Tendenzen in den Kirchen Position beziehen soll. Was entgegnen Sie auf den Vorwurf der Irrlehre?

Gundlach:
Der Vorwurf von Ulrich Parzany ist doch weder neu noch zutreffend; ich sehe allerdings mit Kummer, wie schwer es diesem großartigen Prediger fällt, jenseits seiner eigenen Überzeugungen anderes als Irrlehren zu erkennen. Ich persönlich habe auch gar nichts gegen einen "Bekenntnistag" 2017, denn es gehört zum großen Garten Gottes, dass wir in der EKD von evangelikalen Positionen bis zu liberalen Überzeugungen viele verschiedene Glaubenshaltungen beherbergen, die dann sehr gut zusammenwirken, wenn niemand mit der Kategorie "Irrglauben" hantiert. Denn auch Bruder Parzany weiß natürlich, dass die Wahrheit Gott gehört und nicht einem Menschen, und dass Gottes Wege zum Menschen groß und weit sind, weil seine Güte reicht, so weit der Himmel ist.

"Ich hoffe, dass wir auf Brücken und nicht auf Zäune stoßen"

Ein wiederkehrender Konfliktpunkt ist das Thema Judenmission. In einem neuen Vatikandokument erteilt die katholische Kirche institutioneller Judenmission eine klare Absage.  Die EKD-Synode hat sich im November von den judenfeindlichen Äußerungen Martin Luthers (1483-1546) distanziert. Wird die evangelische Kirche bis 2017 ihre Haltung zur umstrittenen Judenmission klären?

Gundlach:
Die Synode der EKD hat das Präsidium der Synode beauftragt, einen Klärungsprozess zu dieser Frage anzuregen; das Kirchenamt der EKD plant darum einen Studientag zum Thema, um Geschichte und Gegenwart der Diskussion dieser Frage aufzuarbeiten und ein Votum vorzubereiten. Es werden alle Positionen zu diesem Thema aufgerufen und dann zu klären sein, ob wir zu einem gemeinsamen Votum finden. Die Spannweite zu diesem Thema ist in der Sache und darum auch in unserer Kirche sehr groß: Vom Bekenntnis zu dem einem Herrn Jesus Christus, der für alle Menschen der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, bis zur sogenannten Zwei-Wege-Theorie, die in der Gründung des Staates Israel ein Zeichen der Treue Gottes zur bleibenden Erwählung Israels sieht und so die Mission unter Juden kategorial ausschließt, sind die Wege sehr, sehr weit. Ich hoffe, dass wir unterwegs auf Brücken und nicht auf Zäune stoßen.    


Ulrich Parzany will die historisch-kritische Bibelauslegung "überwinden"

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Ulrich Parzany bei der Eröffnung von "ProChrist" im März 2013 in Chemnitz.

Foto: epd-bild/Wolfgang Schmidt

Ulrich Parzany bei der Eröffnung von "ProChrist" im März 2013 in Chemnitz.

Der bekannte evangelikale Prediger Ulrich Parzany möchte die historisch-kritische Bibelauslegung "überwinden", schreibt er in einem Memorandum. Dort fordert Parzany außerdem ein Festhalten an der Judenmission.

Ulrich Parzany, evangelikaler Prediger und langjähriger Hauptredner bei "ProChrist", möchte die historisch-kritische Bibelauslegung "überwinden" und fordert, an der Judenmission festzuhalten. Das schreibt er in einem Memorandum, dass der Informationsdienst "idea" am 8. Januar veröffentlichte. "idea" habe den Text auf Parzanys Bitte hin dokumentiert, heißt es im Vorspann zu dem Text, der auch auf der idea-Webseite online steht.

Wörtlich schreibt Parzany: "Die Bibel ist Gottes Wort. Sie ist Urkunde der Offenbarung Gottes. Die historisch-kritische Bibelauslegung wird dieser Tatsache nicht gerecht und ist zu überwinden. Es ist völlig unakzeptabel, dass die historisch-kritische Bibelauslegung in der Ausbildung der Pfarrer nach wie vor eine beherrschende Rolle hat."

Parzanys Memorandum ist der nächste Schritt im aktuellen Streit unter den Evangelikalen, der sich an einem Gespräch von Michael Diener mit der "Welt" entzündete. Der Vorsitzende der Evangelischen Allianz, der im November 2015 in den Rat der EKD gewählt wurde, hatte die ablehnende Haltung gegenüber homosexuellen Paaren im Pfarrhaus relativiert. Gegenüber dem Magazin "pro"bekräftigte Diener, dass Homosexuelle auch in evangelikalen Gemeinden mitarbeiten könnten, "wenn Menschen für sich diese Frage geistlich geklärt haben", auch wenn die meisten evangelikalen Gemeinden noch nicht so weit seien.

Das hatte in evangelikalen Kreisen für Aufruhr gesorgt. Nun hat sich Ulrich Parzany noch einmal deutlich positioniert. Für den 23. Januar hat er rund 60 evangelikale Vertreter nach Kassel eingeladen, um auf der Basis des konservativen Aufrufes "Zeit zum Aufstehen" und seines neuen Memorandums über die Gründung eines deutschlandweiten Bekenntnisnetzwerks zu sprechen.

Bemerkenswert ist auch eine weitere Passage in Parzanys Sechs-Punkte-Memorandum, das den Titel "Wenn die Bibel Gottes Wort ist..." trägt. Sie enthält die Aufforderung zur Judenmission: "Jesus Christus allein ist Retter für alle Menschen. Wir bekennen mit der ganzen Christenheit seine Menschwerdung, sein stellvertretendes Leiden und Sterben am Kreuz, seine Auferweckung und sein Wiederkommen zur Auferweckung der Toten und zum Gericht. Wir verwerfen die falsche Lehre, es gäbe auch andere Wege zum Heil, und das Evangelium von Jesus Christus müsse nicht allen Menschen zu ihrer Rettung verkündet werden. Es gilt auch daran festzuhalten, dass die rettende Botschaft von dem Messias Jesus nach wie vor den Juden zuerst gilt."

Damit betont Parzany einen der wesentlichen Unterschiede zur EKD. Denn deren Synode hatte im November 2015 eine Erklärung zum Thema "Luther und die Juden" verabschiedet, in der sie sich klar von Luthers judenfeindlichen Reden distanziert. Bis 2017 will die EKD ihr Verhältnis zur Judenmission endgültig klären; erwartet wird, dass sie sich dabei der Mehrheit der Landeskirchen anschließt, die der Judenmission bereits eine klare Absage erteilt haben.

Zur Frage, inwieweit die Bibel Gottes Wort ist, äußerte sich auch Thies Gundlach, theologischer Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes. In einem epd-Interview, das bereits vor Parzanys Memorandum erschien, sagte er: "Die Bibel ist Gottes Wort, aber dieses Wort ist in die Welt zum Menschen gekommen und bedarf darum der menschlichen Kunst der Auslegung." Gundlach sagte auch, er bedauere "den nun von manchen angeschlagenen scharfen Ton".

"Die Bibel sagt unmittelbar gar nichts"

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"Historische Kritik ist die Grundlage allen historischen Denkens und Arbeitens"
Alte Bücher stehen in einem Regal in der Bibliothek des Tübinger Stifts

Foto: epd-bild / Gerhard Bäuerle

Die Bibel verstehen ohne historisch-kritische Auslegung - geht das?

Der bekannte evangelikale Prediger Ulrich Parzany hat in einem "Memorandum" unter anderem gefordert, die historisch-kritische Bibelauslegung "zu überwinden", vor allem auch im Hinblick auf die Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern. Prof. Angela Standhartinger lehrt an der Marburger Philipps-Universität Neues Testament. evangelisch.de hat sie zu dieser These befragt.

Ulrich Parzany behauptet, dass die historisch-kritische Bibelauslegung der Tatsache nicht gerecht würde, dass die Bibel "Gottes Wort und Urkunde seiner Offenbarung" sei. Würden Sie dem zustimmen?

Angela Standhartinger: Die Bibel ist nicht insofern Gottes Wort, als sie von Gott diktiert oder vom Himmel gesandt worden wäre - das unterscheidet die Bibel zum Beispiel vom Koran. Sondern die Bibel vermittelt in vielstimmigen menschlichen Worten das, was Menschen an ihren jeweiligen Orten vom Wort Gottes und seinen Wirkungen in ihrem Leben erlebt und erfahren haben. Die Bibel ist also nicht identisch mit der Offenbarung, sondern Zeugnis von Offenbarungserfahrungen. Da diese Zeugen schon 1800 bis 2500 Jahre vor uns gelebt haben, in antiken Sprachen schrieben und eine uns fremde Kultur voraussetzen, muss jede und jeder, um die Bibel überhaupt lesen und verstehen zu können, auf historisch-kritische Auslegungen zurückgreifen.

Kritisch muss jede Auslegung sein, weil sie unterscheiden muss zwischen Wichtigem und Unwichtigem und manchmal auch zwischen historisch plausiblen und weniger plausiblen Informationen. Zum Beispiel dort, wo Evangelien unterschiedliche Aussagen zur Biografie Jesu machen. Jede Auslegung muss aber auch kritisch unterscheiden, ob die Liebe der Nächsten (z. B. Mk 12,28-34; Gal 5,14) ohne menschliche Vorurteile und die Integration der Deklassierten und Ausgestoßenen (z. B. Mk 2,15-17 u. ä.) die zentrale biblische Botschaft ist, oder die Behauptung "Weichlinge" und solche, die mit Männern auf eine weibliche Weise Geschlechtsverkehr haben, könnten das Reich Gottes nicht erben (1. Kor 6,9).

Muss man also biblische Texte auf jeden Fall auslegen? Können diese Texte nicht für sich selbst sprechen?

Standhartinger: Die Bibel sagt unmittelbar gar nichts, sondern sie braucht immer Übersetzung und Interpretation. Es ist ein gutes protestantisches Prinzip, dass alle Glaubenden zu dieser Interpretation befugt und befähigt sind. Es geht nicht an, dass einzelne, seien sie Predigerinnen oder Prediger, Professorinnen oder Professoren, Pfarrerinnen oder Pfarrer, Prophetinnen oder Propheten, dieses Recht für sich allein beanspruchen.

Ulrich Parzany fordert weiterhin, dass es ein Ende haben müsse, dass die historisch-kritische Bibelauslegung in der Ausbildung der Pfarrer eine beherrschende Rolle spiele. Ist das überhaupt so? Und wenn ja - aus welchem Grund?

Standhartinger: Hier fällt mir zunächst die Rhetorik auf, die historisch-kritisch analysiert, indem sie sich an die Form des Barmer Bekenntnisses von 1934 anlehnt. Es wird aber keine Rechenschaft über die Form abgelegt. Möchte Parzany mit dieser Rhetorik vermitteln, es bestünde größte Gefahr für die Kirche? Wen ja, worin besteht die Gefahr? In einer Übernahme durch kirchenfremde Mächte, wie 1934? Wer soll das heute sein? Da Parzany dazu nichts sagt, kann man hier nur Vermutungen anstellen.

Ähnlich geht es mir auch mit der Forderung nach Abschaffung der historischen Kritik in der Ausbildung. Historische Kritik ist die Grundlage allen historischen Denkens und Arbeitens. Sie wird mindestens in den Fächern Altes Testament, Neues Testament und Kirchengeschichte geübt, aber natürlich auch überall dort, wo Systematik, Praktische Theologie oder Religionsgeschichte historisch fragen. Angesichts des Priester_innentums aller Glaubenden ist es meiner Meinung nach wichtig, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer sowie die Lehrerinnen und Lehrer gelernt haben, wie Übersetzungen zustande kommen und wie man die Texte im Kontext ihrer Entstehungskultur verstehen kann: Was man weiß und was man auch nicht weiß. Nur so können sie auf Fragen reagieren und in Konflikte (wie den hier beschriebenen) Positionen kritisch differenzieren und eigene abgewogene und begründete Positionen beziehen.

Mir ist außerdem völlig unklar, warum und wie man die historisch-kritische Methodik "abschaffen" sollte. Erst im zweiten Satz von Parzanys These kann man erahnen, worum es hier möglicherweise geht: Was Parzany vermutlich ärgert, ist die historisch-kritisch begründete Meinung, dass Texte wie Röm 1,26f eine antike Sexualitätskultur voraussetzen, die sich von der gegenwärtigen unterscheidet. Was ihn möglicherweise aber noch mehr ärgert, ist der aus diesen historisch-kritischen Beobachtungen und Erkenntnissen gezogene hermeneutische Schluss, dass man (angesichts der kulturellen Unterschiede und vor allem auf Grund der biblischen Botschaft der Nächstenliebe und Akzeptanz, ja sogar Privilegierung des und der Anderen und Anderssartigen) diese Texte nicht als zeitlose Gebote auffassen kann und darf, sondern als kontextuell und kulturell gebundene und daher zu übersetzende Texte. Die historisch-kritische Methode zieht den Schluss nicht, sie liefert nur Argumente und Einsichten, damit wir die Texte aus uns fremden Kulturen besser verstehen. Damit jede und jeder aber die eigenen, vor Gott und dem eigenen Gewissen zu verantwortenden hermeneutischen Entscheidungen und Schlüsse ziehen kann, braucht es unbedingt die historisch-kritische Methode in kirchlichen und universitären Ausbildungsgängen einschließlich kirchlicher Ehrenämter.

"Die historisch-kritische Methode zieht den Schluss nicht, sie liefert nur Argumente und Einsichten"

Welchen Stellenwert sollte denn Ihrer Meinung nach die historisch-kritische Methode in der theologischen Ausbildung überhaupt haben und welche alternativen Schwerpunkte gäbe es noch?

Standhartinger: Wie eben schon erwähnt, bildet sie eigentlich die Grundlage. Ich halte auch nichts davon, "historisch-kritische" Methodik auf bestimmte historische Fragen einzugrenzen. Einen antiken Text und jedes andere historische Phänomen kann man nur mit historischen und das heißt auch immer kritisch-unterscheidenden Methoden begreifen. Das schließt literaturwissenschaftliche Methoden ausdrücklich ein, aber auch sie werden ja an einem historischen Text angewendet.

Christliche Homosexuelle widersprechen Parzanys Memorandum

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Zwei Männer halten sich in einer Kirche  an den Händen.

Foto: epd-bild/Vadim Kretschmer

Der Streit über den Umgang mit homosexuellen Christen führt in den Kirchen weltweit immer wieder zu Konflikten.

Die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) protestiert gegen das von Ulrich Parzany veröffentlichte Memorandum. Darin hieß es, es sei eine "falsche Lehre, homosexuelle Beziehungen entsprächen dem Willen Gottes und dürften von den Kirchen gesegnet werden".

Thorsten Maruschke und Markus Gutfleisch von der HuK schreiben in ihrer Erklärung, sie seien "empört" darüber, dass Parzany seine "seine Ablehnung von homosexuellen Beziehungen sprachlich unverkennbar an die Barmer Theologische Erklärung anlehnt, mit der sich die Bekennende Kirche 1934 gegen die Gleichschaltung der Kirche im Sinne der Nazi-Barbarei wehrte". Damit wolle der evangelikale Prediger "offenbar sich und sein 'Bekenntnis-Netzwerk' als aufrechte Christ_innen stilisieren, die wie damals die Bekennende Kirche mutig und allein der falschen Lehre entgegentreten". Er erwecke den Eindruck, "dass die Anerkennung homosexueller Partnerschaften den Fortbestand der Kirche aufs schwerste gefährdet".

Weiter heißt es in der Reaktion der HuK: "Evangelische Lehre und evangelische Freiheit lassen es zu, in ethischen Fragen unterschiedlicher Meinung zu sein und zu streiten." Christliche Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Menschen wollten "zu einer Kirche gehören, die sich aus Überzeugung dafür entscheidet, gleichgeschlechtliche Paare genauso zu behandeln wie heterosexuelle". Das allein entspreche der Liebe Gottes und stärke die "Glaubwürdigkeit der Kirche". Sie seien überzeugt, so Gutfleisch und Maruschke, "dass das Wort Gottes nicht zur Liebe Gottes in Widerspruch steht".

Kurswechsel in Kassel?

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Ein Mann steht auf der Straße neben einem Pfeil, der zwei unterschiedliche Richtungen anzeigt.

Foto: Getty Images/iStockphoto/wissanu_phiphithaphong

Auch im evangelikalen Bereich könne von einem Auseinanderdriften eines eher liberalen und eher konservativen Lagers gesprochen werden, sagt die Theologin Gisa Bauer.

Der aktuelle Streit über das Verständnis der Bibel lässt eine weitere Pluralisierung in der theologisch-konservativen Bewegung im deutschen Protestantismus erwarten: Auch unter Evangelikalen gibt es mittlerweile zwei Lager.

Die Einladung nach Kassel birgt Konfliktstoff. Am Samstag wollen theologisch-konservative Protestanten in Nordhessen über den künftigen Kurs der Evangelikalen debattieren. Die Initiative dazu geht vom streitbaren früheren Generalsekretär des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM), Ulrich Parzany, aus.

"Wo gehen wir hin?", schreibt Parzany in einem Memorandum angesichts der Differenzen, wie sich Evangelikale in den Auseinandersetzungen über Bibelverständnis und ethische Fragen zu verhalten haben. "Wir brauchen den entschiedenen Widerstand gegen die Irrlehren, die in den evangelischen Kirchen zum Teil ausdrücklich vertreten und gefördert werden", dringt der und frühere "ProChrist"-Hauptredner auf Klärungsbedarf und regt ein deutschlandweites "Netzwerk Bibel und Bekenntnis" an.

Annäherung unter EKD-Ratschef Huber

Auslöser für den Streit im evangelikalen Bereich sind Äußerungen von Präses Michael Diener vom Gnadauer Gemeinschaftsverband. Diener, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und seit November Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hatte frommen Protestanten empfohlen, in Fragen der Sexualethik selbstkritischer zu sein und sich weniger gegen die Landeskirchen abzuschotten. Dass Diener auch bei dem Reizthema Homosexualität evangelikalen Christen zu einer differenzierten Sicht riet, trug dem Pfarrer massive Kritik ein.

Für den evangelischen Theologieprofessor Peter Zimmerling ist die Auseinandersetzung Ausdruck einer Pluralisierung und Modernisierung in der evangelikalen Bewegung. Unterschiedlich geprägte Vertreter des theologisch-konservativen Spektrums im deutschen Protestantismus prallten dabei aufeinander. Vizepräsident Thies Gundlach vom EKD-Kirchenamt erinnert die Kontroverse an den innerevangelischen Streit über Homosexualität vergangener Jahre. Eine differenziertes Bibelverständnis sei weder "mit Machtworten der Eindeutigkeit oder mit Beschwörung von Bekenntnistreue vom Tisch zu wischen".

Gundlach kontert den Vorwurf, in der evangelischen Kirche würden Irrlehren vertreten. Die unterschiedlichen Glaubenshaltungen im "großen Garten Gottes" wirkten dann gut zusammen, "wenn niemand mit der Kategorie 'Irrglauben' hantiert", sagt er.



Nachdem über Jahrzehnte zwischen Evangelikalen und evangelischer Kirche Dauerkonflikte herrschten, kam es unter dem EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber zu einer Entspannung. Huber wandte sich gegen die Ausgrenzung der mehr als eine Million frommen Christen der evangelikalen Bewegung als Fundamentalisten. Die Annäherung von EKD und Evangelikalen zählt Huber, der bis 2009 die Protestanten repräsentierte, im Rückblick zu den "verheißungsvollsten Entwicklungen" in der evangelischen Kirche in den vergangenen zwei Jahrzehnten.

Auch Professor Zimmerling beobachtet Entspannung. Zur Überwindung der früheren Polarisierung habe die Leipziger EKD-Synode 1999 maßgeblich beigetragen, sagt der Theologe, der an der Universität Leipzig zu evangelischer Mystik und charismatischen Bewegungen forscht. Vor der Folie fortschreitender Säkularisierung, nicht zuletzt mit der deutschen Einheit, befasste sich die Synode mit dem Thema Mission. Mit dem Befund, dass mit dem "Herzschlag der Kirche" etwas nicht in Ordnung sei, wenn Mission und Evangelisation nicht Sache der ganzen Kirche wird, wurde laut Zimmerling ein zentrales Anliegen der Evangelikalen aufgegriffen.

Die Lager driften auseinander

Der pietistisch geprägte Gnadauer Gemeinschaftsverband sprach Präses Diener, der nach dem Fernsehmoderator Peter Hahne und der Württembergerin Tabea Dölker die Stimme des evangelikalen Flügels im Rat der EKD ist, nach der Parzany-Kritik sein volles Vertrauen aus. Die Rückendeckung für den Vorsitzenden Diener in der Deutschen Evangelischen Allianz, in der das bunte Spektrum bibeltreuer Gemeinschaften und Werke vereint ist, fiel verhaltener aus.

Die Beratungen am Samstag in Kassel über den Kurs der evangelikalen Strömung könnten in eine weitere Ausdifferenzierung münden, sagt die Theologin Gisa Bauer, die über das spannungsreiche Verhältnis von evangelischer Kirche und Evangelikalen ihre Habilitation geschrieben hat. Schon jetzt seien die Evangelikalen plural aufgestellt. Inzwischen könne auch im evangelikalen Bereich von einem Auseinanderdriften eines eher liberalen und eher konservativen Lagers gesprochen werden.

Christian Schad: "Ich bin evangelisch, weil ..."

Theologe rät Kirchen in Flüchtlingsfrage zu mehr Verantwortungsethik

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In der Flüchtlingsfrage rät der evangelische Sozialethiker Ulrich Körtner den Kirchen, nicht nur gesinnungsethisch zu argumentieren.

Aus dem biblischen Gebot der Nächstenliebe ließen sich keine erschöpfenden Handlungsanleitungen für eine langfristige Migrationspolitik ableiten, schreibt der Theologieprofessor in einem Beitrag für die evangelische Monatszeitschrift "zeitzeichen". "Der Staat ist kein Individuum wie der Samariter im Gleichnis Jesu. Auch kann er nicht nur das Einzelschicksal in den Blick nehmen, sondern ist dem Gemeinwohl, dem Wohl aller, verpflichtet", erklärte Körtner. Eine Forderung nach unbegrenzter Zuwanderung lasse sich durch das Gleichnis nicht rechtfertigen.

In kirchlichen Stellungnahmen zur Flüchtlingssituation werde diesen Fragen ausgewichen, bemängelte der Professor für Systematische Theologie. Die beiden großen Kirchen in Deutschland hätten die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von Anfang an nachdrücklich unterstützt und dabei sogar den in Kauf genommenen Bruch von EU-Recht gutgeheißen. Körtner zufolge ist dies rechtspolitisch und theologisch bedenklich.

Er warb dafür, dass die evangelische Kirche stärker die reformatorische Lehre beachte, die Kirche und Staat unterschiedliche Aufgaben zuweist. Zur staatlichen Aufgabe gehöre es auch, die Grenzen zu sichern und Zuwanderung zu steuern. Gerade ein für Zuwanderung offener Staat brauche die Kontrolle über das Staatsgebiet und die Zusammensetzung der Bevölkerung. Wann bei der Flüchtlingsaufnahme die "Grenze des Leistbaren" erreicht sei, werde von Land zu Land unterschiedlich beurteilt. "Aber aus verantwortungsethischer Sicht werden wir um diese Frage nicht herumkommen", schrieb Körtner, der an der Universität Wien lehrt.

Die Bibel aus evangelischer Sicht

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Zwei junge Frauen lesen in der Bibel.

Foto: iStockphoto/RyanJLane

"Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein; je mehr du es reibst, desto mehr duftet es", sagte Martin Luther.

Am letzten Sonntag im Januar feiern Christen in Deutschland den Ökumenischen Bibelsonntag. Im Mittelpunkt steht die Ökumene und damit die gemeinsame Beschäftigung mit der Bibel. Was das Buch der Bücher für evangelische Christen bedeutet, erklärt Ruprecht Veigel von der Deutschen Bibelgesellschaft: In der Bibel erfährt der Mensch, wer er ist, wie es um die Welt und um ihn selbst steht und was ihm sein Schöpfer zu sagen hat.

Im Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus zeigt Gott sich als liebender Vater, der den Menschen die rettende Hand entgegenstreckt. Diese freudige Botschaft (griechisch "Evangelium") sollen die Völker der Erde hören. Schon in den ersten Jahrzehnten tragen die Christen die Botschaft und das Buch nach Europa.

Evangelische Entdeckungslust

Doch anderthalb Jahrtausende später verschließt eine mächtig gewordene Kirche in Europa den Gläubigen die Heilige Schrift. Die lateinische Bibel verstehen nur die Gelehrten und nur die Kirche hat das Recht, sie zu deuten. Dem aber widersprechen Martin Luther und andere Reformatoren: Letzte Autorität ist allein die Schrift selbst. Von ihrer Mitte her, dem Evangelium von Jesus Christus, kann jeder Gläubige die Bibel ohne kirchliche Bevormundung ergründen. Diese fröhliche Freiheitsbotschaft schreiben sich die Kirchen der Reformation auf die Fahnen und nennen sich darum "evangelisch". Eine neue persönliche Entdeckungslust ist angesagt: "Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein; je mehr du es reibst, desto mehr duftet es", empfiehlt Luther. Eine Möglichkeit die Bibel häppchenweise zu Lesen ist z.B. die tägliche Bibellese mit dem Bibellesplan DEutschen Bibelgesellschaft.

Zuverlässigkeit

Luther weiß allerdings, dass er die Gläubigen zum Bibellesen nur einladen kann, wenn er ihnen eine zuverlässige und verständliche Bibelübersetzung in die Hand gibt. Er benutzt als Vorlage nicht die lateinische Übersetzung der Kirche, sondern die hebräischen und griechischen Urtext-Ausgaben seiner Zeit. Zu Luthers Team gehören auch renommierte Philologen und Historiker. Das Interesse am Historischen wird geradezu das Merkmal der evangelischen Bibelwissenschaften. Die Entdeckung und Auswertung der ältesten biblischen Handschriften schaffen einen verlässlichen Grundtext, den heute die Deutsche Bibelgesellschaft in ihren weltweit genutzten wissenschaftlichen Ausgaben wiedergibt. Fortschritte in den verschiedensten Spezialwissenschaften tragen zu einem breiten Verständnis der biblischen Welt bei. Ein Projekt in diesem Bereich ist Wibilex, ein wissenschaftliches Bibellexikon, das online kostenlos zur Verfügung steht.

Alltagsdeutsch

Luthers Richtschnur bei der Bibelverdeutschung ist die Alltagssprache seiner Landsleute: "...man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen, und den selbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet." Die Lutherbibel wird das große Volksbuch der Deutschen und ein Vorbild für andere Bibelübersetzungen. Die Aufgabe des Bibelübersetzens gewinnt im 19. Jahrhundert in der protestantischen Mission globale Bedeutung. Und da sich Lebenswelt und Sprache der Menschen ständig verändern, stellt sich diese Aufgabe jeder Generation von neuem. So ist heute die Deutsche Bibelgesellschaft als Evangelisches Bibelwerk in Deutschland damit beauftragt, die Lutherbibel zu pflegen und neue, den modernen Bedürfnissen entsprechende Übersetzungen zu schaffen.

Überall preiswert zu kaufen

Erst die Verbreitung durch den Buchdruck macht die Lutherbibel populär. Im Pietismus und weiteren evangelischen Erneuerungsbewegungen wendet sich eine große Zahl von Gläubigen intensiv dem Wort Gottes in der Bibel zu. Die evangelischen Bibelgesellschaften stellen seit dem 18. Jahrhundert mit Hilfe von Spenden und preiswerten Druckverfahren den Armen erschwingliche Bibeln zur Verfügung. Auch dieser Aufgabe widmet sich heute die Deutsche Bibelgesellschaft, wobei sie mit ihrer Aktion Weltbibelhilfe vor allem die Bedürftigen in Afrika, Asien und Lateinamerika im Blick hat. Zusammen mit den regionalen Bibelgesellschaften und anderen Einrichtungen der Bibelverbreitung fördert sie das Bibellesen und die Kenntnis der Bibel in der Öffentlichkeit.

Bildung für alle

Bibellesen setzt ein Grundmaß an Bildung voraus. Schon Luthers Mitstreiter Philipp Melanchthon organisiert ein flächendeckendes evangelisches Schulwesen. Kinder sollen lesen, schreiben und rechnen können, den Katechismus lernen, biblische Geschichten selbst lesen. August Hermann Francke gründet um 1700 vor den Toren Halles ein Waisenhaus, dessen umfassendes Erziehungs- und Bildungskonzept zum Vorbild wird.

Wissenschaft

Unerfahrene und erfahrene Bibellesen erwarten angemessene Verständnishilfen. Schon die ersten Lutherbibeln bieten Einführungen in die biblischen Bücher, Randbemerkungen und Sacherklärungen. Mit der Reformation stehen Theologie und kirchliche Lehre vor neuen Herausforderungen, die Natur- und Geisteswissenschaften gewinnen einen neuen Stellenwert und blühen auf.

Meinungsvielfalt

Je mehr Gläubige sich an der Schriftauslegung beteiligen, desto breiter und bunter wird das Spektrum der Auffassungen. Die Ablehnung eines kirchlichen Deutungs- und Lehrmonopols führt in der Geschichte der evangelischen Kirchen zu großer Meinungsvielfalt und - teils heftigen - öffentlichen Auseinandersetzungen.

Kunst und Kultur

Das Evangelium gilt dem ganzen Menschen; Körper, Geist und Seele sind gleichermaßen angesprochen. Martin Luther liebt die Musik und in seinen Bibeln lässt er mit aussagekräftigen Bildern die Gegenwart der Leser im Licht des Evangeliums deuten. Das Volksbuch Bibel prägt die Kunst und Kultur Deutschlands in einer neuen Breite und Intensität.

 

Dieser Artikel von Ruprecht Veigel, Referent für Bibel und Öffentlichkeit bei der Deutschen Bibelgesellschaft, erschien bereits im September 2012 auf evangelisch.de


Lieben lernen - Lektion #3: Feindesliebe

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Ein Liebes-Hörkurs
Lieben ist so einfach - aber den eigenen Feind zu lieben, wie Jesus das fordert. Wie soll das gehen? Lektion 3 unseres Hörkurses erklärt, wie das ist mit der Liebe.

Lieben lernen 03 - Feindesliebe

Vielleicht das Schwierigste, das man in Sachen Liebe lernen kann, ist die Feindesliebe. Ausgerechnet diejenigen zu lieben, die einen hassen, erscheint unmöglich. Und dennoch ist es genau das, was Jesus von allen fordert, die ihm nachfolgen wollen. Dabei geht es ihm nicht darum, dass man anfangen muss, seine Feinde zu mögen. Lieben soll man sie. Wer jemanden liebt, wird in der geliebten Person immer den Menschen sehen – mit all seinen Stärken und Schwächen. Wer einen Menschen liebt, wird ihn niemals nur auf seine Taten reduzieren. Jesus gibt in seiner Lektion zur Feindesliebe ausgesprochen klare Beispiele dafür, was man tun kann.

Matthäus 5,38-48:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: "Auge um Auge, Zahn um Zahn." Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: "Du sollst deinen Nächsten lieben" (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Wie überrascht ist wohl der Angreifer, wenn der Widerstand, auf den er trifft, so aussieht, dass man ihm noch mehr Angriffsfläche bietet? Wie entwaffnend ist es wohl, wenn man dem Dieb noch etwas schenkt und seinem Unterdrücker anbietet, ihm freiwillig zu dienen?

Jesus fordert seine Nachfolger dazu auf, vollkommen zu werden. Das ist nicht zu viel verlangt, denn wir sind schließlich nach Gottes Ebenbild erschaffen. Vollkommenheit muss das Ziel des Menschen sein, weil Gott selbst unser Vorbild ist. Dass wir dieses Ziel niemals aus eigener Kraft erreichen, weiß Gott selbst. Aber so sehr wir Mensch sind, so sehr wir Gottes Ebenbild sind, so sehr ist es unser Feind auch. Wir müssen ihn nicht mögen, wir können seine Taten verachten, doch ihn selbst sollen wir und können wir lieben, als eines von Gottes Ebenbildern. Und wir können ihn überraschen, dass wir seine dreckigen Spiele nicht mitspielen.

So ist das mit der Liebe.

Konferenz über Theologie und Transsexualität an der Uni Frankfurt

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Regenbogenflagge und Kirchturm vor blauem Himmel.

Foto: Getty Images/iStockphoto/orzeczenie

Zum ersten Mal beschäftigt sich ein evangelischer Theologie-Fachbereich einer deutschen Uni mit dem Thema Transsexualität - gemeinsam mit Experten anderer Fächer. Die Uni Frankfurt lädt für Donnerstag bis Samstag (4.- 6. Februar) zu einer Konferenz ein.

Insgesamt 20 internationale Experten aus Theologie, Kirche, Neuro- und Biowissenschaften werden Vorträge halten, dazu gibt es mehrere Workshops. Ziel der Konferenz mit dem Titel "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften. Internationale, interdisziplinäre Konferenz" ist es, transsexuelle Menschen besser zu verstehen und zu einem offenen und vorurteilsfreien Dialog beizutragen.

Nach neuro- und biowissenschaftlichen Erkenntnissen wird Transsexualität mittlerweile als angeboren betrachtet. "Transsexuelle Menschen besitzen ein tiefes inneres Wissen, ein Geschlecht zu haben, das ihnen bei der Geburt nicht zugewiesen, sondern vorenthalten wurde", heißt es in der Konferenz-Ankündigung. Transsexualität sei keine psychische Störung, sondern eine biologische Variante innerhalb der geschlechtlichen Vielfalt. "Unter Gottes Regenbogen gibt es wesentlich mehr als das, was wir zum Beispiel aufgrund der äußeren Geschlechtsmerkmale als 'den Mann' und 'die Frau' klassifizieren", sagt der Veranstalter der Konferenz, der evangelische systematische Theologe Dr. Gerhard Schreiber. "Gott hat den Menschen wesentlich variantenreicher erschaffen."

"Es kommt mir absurd vor, dass man Menschen ausgrenzt"

Schreiber bedauert, dass dieses Verständnis von Transsexualität als natürliche Variante bisher kaum in Theologie und Kirche angekommen sei. Das Thema könne allerdings auch nicht allein "im Elfenbeinturm der Theologie" gelöst werden, sondern nur gemeinsam mit den Bio- und Neurowissenschaften: "Es bietet sich zwingend an, den Dialog mit anderen Wissenschaften und den Betreffenden selbst zu suchen", sagt Schreiber. Deswegen werden auf der Konferenz neben Theologen wie dem evangelischen Ethikprofessor Peter Dabrock, dem katholischen Moraltheologen Eberhard Schockenhoff und dem hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Volker Jung auch Naturwissenschaftler zu Wort kommen, darunter der Professor für Anatomie und reproduktive Biologie Milton Diamond, der Neurowissenschaftler und Psychoanalytiker Mark Solms, der Hirnforscher Dick F. Swaab und die Biologin, Hochschullehrerin und Autorin Joan Roughgarden. Die transsexuelle bayerische Pfarrerin Dorothea Zwölfer wird zusammen mit ihrer Ehefrau zwei Workshops halten.

Veranstalter Gerhard Schreiber hofft, dass die Konferenz zu einem veränderten Umgang mit transsexuellen Menschen in Kirche und Gesellschaft beitragen wird. "Es kommt mir absurd vor, dass man Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität ausgrenzt und diskriminiert", sagt er. "Ich wünsche mir, dass diese Konferenz es schafft, das Thema Transsexualität in einem guten und offenen Verhältnis anzusprechen und damit auch ein Zeichen gegen Diskriminierung zu setzen."

Interessierte Gäste sind zu den Vorträgen der Konferenz, die im Casino-Gebäude auf dem Uni-Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt am Main stattfindet, willkommen. Eine Vorabanmeldung ist hierfür nicht notwendig. Am Montag, dem 8. Februar veröffentlicht evangelisch.de einen ausführlichen Bericht über die Konferenz. Die wissenschaftlichen Vorträge sollen im Herbst als Buch erscheinen.

Preacher-Slam in Siegen: Ein Experiment mit Worten

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Die Muslimin Hadjar Mohajerzad beim Preacher-Slam in der Siegener Martinikirche.

Foto: Raimund Hellwig

Die Muslimin Hadjar Mohajerzad beim Preacher-Slam in der Siegener Martinikirche.

Das Publikum wollte Sieger sehen beim ersten Preacher-Slam in Siegen: Am Ende gewann - verdammt! - ein geübter Poetry-Slammer gegen eine ausgebildete Pfarrerin.

"Wo bist du, Gott", fragt Marco Michalzik, Slammer aus Darmstadt, mit der Inbrunst eines evangelikalen Predigers, als er von Landminen und Flüchtlingen erzählt. Frauke Hayung erzählt den Klassiker-Witz von dem armen Menschen, der wegen zu häufigen Fluchens vom Blitz erschlagen wird – leider trifft es den Falschen, der Nebenmann hat geflucht, und die tiefe Stimme von oben brummt "Verdammt, daneben".

"Verdammt", im Folgenden von Dietrich Hoof-Greve das "V-Wort" genannt, ist das Leitthema für den ersten "Preacher Slam" in der Martinikirche in Siegen. Neun Teilnehmer geben sich – Achtung Wortspiel – verdammt viel Mühe, um sich an dem verdammten Thema abzuarbeiten, das in der Bibel geradezu ein Leitthema ist, das von Düsternis und Hoffnungslosigkeit geradezu tropft. Prediger vergangener Jahrhunderte hätten in ihren Kanzelreden womöglich Qualen der vielfältigsten Art für den Fall von Regelübertretung oder Unbotmäßigkeit beschworen. Im ersten Siegener Preacher Slam in theologisch tiefgründiger Umgebung fehlte es nicht an humoristischen Tönen, man nähert sich den Höllenqualen auf spielerische Weise. Und man spricht übrigens nicht von der Kanzel, und homiletisch schon mal gar nicht.

Beim Preacher Slam geben sich zur Hälfte Prediger die Ehre, und zur anderen Hälfte Slammer wie Sascha Kirchhoff, Tristan Kunkel und Marco Müller, die man ansonsten beim Poetry Slam antrifft. Oder beim Fastenbrechen an der Siegener Uni, wie die von Studierendenpfarrer Hoof-Greve für den Slam angeworbene Hadjar Mohajerzad, die als praktizierende Muslimin aus der Truppe der Teilnehmer hervorsticht. Oder der Darmstädter Marco Michalzik, einer der Wortkünstler, die inzwischen in ganz Deutschland gefragt sind, und der im Hauptberuf bei der überkonfessionellen Jugendinitiative "Nightlight" als Jugendreferent arbeitet.

Die Pfarrerin aus Vorhalle kann nicht mehr mithalten

Auf der "Preacher"-Seite sind Rebecca Schmidt, Pfarrerin im Kirchenkreis Siegen, oder Sebastian Rink, frisch bestellter Pfarrer an einer Freien Evangelischen Gemeinde in Siegen, und Tom Herter, ebenfalls im Siegerländer Gemeinschafts-Spektrum verhaftet, ehemals Studierender in Ewersbach und inzwischen damit beauftragt, eine Gemeinde in Osnabrück aufzubauen. Und die Pfarrerin Frauke Hayungs, beruflich in Hagen-Vorhalle aktiv, einer Stadt, die nicht mit der Vorhölle verwechselt werden soll, wie Hagen-Kenner Dietrich Hoof-Greve spitz anmerkt.

Der Preacher Slam in der Siegener Martinikirche ist ein Experiment mit der Schönheit der Worte, ein Experiment, das nach festen Regeln ablaufen soll. Einige ausgewählte Experten aus dem Publikum erhalten Benotungstafeln, mit denen sie den jeweiligen Beitrag bewerten. Die Eins steht für "besser nicht geschrieben", die Zehn beschreibt  einen Begeisterungszustand des Publikums, der nahe an der Raserei liegt. Das alles in maximal sechs Minuten langen Beiträgen, die bei Zeitüberschreitung mit zunehmend nervigem Gepiepe zwangsbeendet werden.

Die Gesamtpunkte der Jury werden – auch hier ist alles Zahl, Maß und Gewicht – mit der Dezibelzahl des per Handy-App gemessenen Applauses zusammengezählt. Das Ergebnis ist, dass der Akku des Handys zum Schluss, verdammt, schwächelt. Und dass ein Pfiff am Ende des Applauses nochmals für zwei Dezibel gut ist. Apple lügt nicht, sagt Studierendenpfarrer Dietrich Hoof-Greve.

Dennoch findet sich ein würdiges Finale, denn neben Frauke Hayungs zieht auch der vollbärtige Marco Michalzik ins Finale ein, der als einziger der Teilnehmer frei spricht, nicht stockt und zagt und eine Gesamtinszenierung auf das Parkett legt, die das Publikum hinreißt. Da kann auch die Pfarrerin aus Vorhalle nicht mehr mithalten: Die über hundert Gäste in der Martinikirche applaudieren ein bisschen, eindeutig, klar, für den Darmstädter Slammer. Moderator und Studentenpfarrer Dietrich Hoof-Greve scheitert mit einem Unentschieden-Vorschlag: Das Publikum will Sieger sehen.

Studierendenpfarrer Dietrich Hoof-Greve zur Frage: Wann ist eine Predigt gut?

Und wo Gott geblieben ist, in den Preacher Slam-Beiträgen? Es ist vielleicht wie in den Predigten der Landeskirche und denen der Gemeinschaften, ebenso in denen der römischen Konkurrenz: Wichtig ist nur, was hängen bleibt. "Und dass", wie es Studierendenpfarrer Hoof-Greve ganz zu Anfang formulierte, "ihr heute ablachen könnt und richtig was mitnehmt".

AHA - Darum sagt Jesus, man soll nicht von ihm erzählen

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Bis der Auftrag erfüllt ist, gilt das "Messiasgeheimnis"
Eine Frau mahnt mit ihrem Zeigefinger vor dem Mund zur Verschwiegenheit.

Foto: stocksy/Dina Giangregorio/(M)evangelisch.de

Einerseits heißt es am Ende des Matthäusevangeliums: "Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker." Andererseits befiehlt Jesus nach so manchem Wunder, das er tut, die Leute sollten unbedingt darüber schweigen. Claudius Grigat und Frank Muchlinsky erläutern, wie es zu diesen zwei unterschiedlichen Befehlen kommt.

Was Sie eigentlich schon immer über Kirche, Glaube oder Religion wissen wollten, aber sich bislang vielleicht nicht zu fragen wagten... Claudius Grigat und Pfarrer Frank Muchlinsky sprechen über höchst Heiliges, kurios Kirchliches und scheinbar Selbstverständliches.

 

Kirchenpräsident Jung: "sexuelle Vielfalt in Gottes Schöpfung bejahen"

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Volker Jung

Foto: epd-bild/Norbert Neetz

"Wir müssen lernen, dass Schöpfung mehr ist als Mann und Frau", sagte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung vor Beginn der Konferenz "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften" in Frankfurt am Main.

Die Kirche müsse im Bereich Sexualität "genauer hinschauen"– wie auch beim Thema Homosexualität – "um zu begreifen, dass es nicht um krankhafte Abweichungen geht", sagte Jung. Jugendliche in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hätten bei der Kirchenleitung angemahnt, dass sie sich mit dem Thema Transsexualität beschäftigen müsse. Seine Kirche wolle "sexuelle Vielfalt in Gottes Schöpfung bejahen und Diskriminierung beenden", sagte Jung. Die Kirche habe schließlich "den Auftrag, die Botschaft von der freien Gnade Gottes zu bezeugen und so für Menschen - und zwar für alle Menschen - da zu sein". Er sehe "Glauben als kritische Reflexion in stetigem Hören auf Gott und die Welt", sagte Jung. Daher betrachtet er die Grenzüberschreitung zwischen Neurowissenschaften und Theologie bei der Konferenz als besondere Chance.

Wie sehr das Zusammenspiel der beiden Disziplinen beim eigenen Coming-out helfen kann, machte die transsexuelle bayerische Pfarrerin Dorothea Zwölfer, Sprecherin von Trans Evidence, in ihrem Grußwort deutlich. Besonders die markante Aussage des Sexualforschers Milton Diamond, "das wichtigste Sexualorgan sitzt zwischen den Ohren", habe ihr geholfen, "den inneren Kampf gegen mich selber aufzugeben", sagte Zwölfer. Mit Hinweis auf das so genannte Hohelied der Liebe aus dem 1. Korintherbrief ergänzte die Pfarrerin, gerade für ihre Ehefrau sei aber auch die Einsicht wichtig gewesen, dass "Glaube, Hoffnung, Liebe konstant bleiben können in einer Ehe". Dorothea und Claudia Zwölfer sind nach der Geschlechtsangleichung verheiratet geblieben.

Die Konferenz an der Frankfurter Goethe-Universität dient transsexuellen Menschen auch zum gegenseitigen Kennenlernen und Wiedersehen. Drei Tage lang beschäftigen sie sich gemeinsam mit Neuro- und Biowissenschaftlern, Theologen und interessierten Gästen mit dem Thema Transsexualität. Ziel der Konferenz ist, zu mehr Verständnis beizutragen und "endlich dieser elenden Diskriminierung entgegenzuwirken", wie der Theologe und Organisator Gerhard Schreiber zur Begrüßung sagte.

Nächstenliebe statt konkrete Politik

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Viel Kritik muss Heinrich Bedford-Strohm einstecken, wenn er in politischen Talkshows wie Anne Will keine konkreten politischen Lösungsvorschläge präsentiert, sondern stattdessen nicht müde wird, die Politiker zu ermahnen: Nächstenliebe und Gottesliebe sind untrennbar miteinander verbunden! Arnd Brummer meint: "Bedford-Strohm tut gut daran, die Politiker daran zu erinnen, bei ihren Entscheidungenu zu bedenken, was Menschsein im christlichen Sinne bedeutet, nämlich: Liebe deinen Nächsten." Mit bedeutungsloser Schwafelei habe das absolut nichts zu tun.

Volker Jung: Transsexualität endlich "entmoralisieren"

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Volker Jung

Foto: epd-bild/Jens Schlüter

Der Kirchenpräsident des Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau, Volker Jung.

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat im Zusammenhang mit transsexuellen Menschen von einer "schuldbelasteten Wahrnehmung" der Kirche gesprochen.

"Es wurde nicht wahrgenommen, dass es Grundprägungen von Menschen gibt, die nicht veränderbar sind und zur Identität eines Menschen gehören", sagte Jung bei der Konferenz "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften" an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Das Thema sei nicht nur ein Randthema, das sich einer Minderheit zuwende. Es ist ein Thema, "das in Grundfragen von Theologie und Kirche hineinführt". Um der Menschen willen sei "eine Entmoralisierung erforderlich", sagte Jung. Sexuelle Prägungen seien jeweils "empfangen".

Theologisch besteht nach Jung die Herausforderung darin, dass das heutige Verständnis sexueller Vielfalt "in dieser Form nicht im Horizont der Aussagen biblischer Texte steht". Dies bedeute, dass auch die Schöpfung im Blick auf die Geschlechtlichkeit "nicht auf normative Binarität reduziert werden kann". Die Zweigeschlechtlichkeit von Frau und Mann sei zwar eine "besondere Gabe Gottes". Sie sei aber "nicht das einzige Schöpfungsgemäße, gegenüber dem andere geschlechtliche Orientierungen als defizitär zu beurteilen wären".

Nach dem Grundverständnis des Evangeliums sei die Zusage des Heils in Jesus Christus "gerade nicht an menschliche Herkunft und Rollenzuschreibung gebunden", sagte Jung mit Verweis auf Galater 3,28: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus." Die Wahrnehmung sexueller Vielfalt bedeute keine Loslösung von der Bibel. "Gerade das biblische Zeugnis fordert heraus, Menschen in ihrerIndividualität wahrzunehmen und ihnen darin gerecht zu werden", sagte Jung.

Zum 500. Jubiläum der Reformation solle die evangelische Kirche einen Beitrag dazu leisten, "dass Diskriminierung aufgrund von geschlechtlicher odersexueller Identität und Orientierung ein Ende hat". In der evangelischen Kirche sollten sich "Menschen jeglichen Geschlechts und verschiedener sexueller Prägung von Gott geliebt und angenommen fühlen", sagte der Kirchenpräsident und schloss mit einem Zitat von Lili Elbe im Film "The Danish Girl", die voller Überzeugung sage: "Gott hat mich so geschaffen."


Dabrock: Kirche muss Homo- und Transphobie aufdecken

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Dr. Peter Dabrock

Foto: NN/Ralf Roedel

Peter Dabrock

Der Erlanger Theologieprofessor Peter Dabrock hat evangelische Christen dazu aufgerufen, homo- und transsexuelle Menschen zu akzeptieren. Eine Rede von "Sünde" in diesem Zusammenhang dürfe es in der Kirche nicht geben.

Dabrock erläuterte auf der Konferenz "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften" in Frankfurt am Main seinen Ansatz einer theologischen Ethik, die nicht auf einzelnen Bibelstellen, sondern auf bestimmten biblischen Kriterien basiert.

Mit Blick darauf, dass oft einzelne Verse herangezogen werden, um nicht-hetero-Sexualität zu verurteilen, sagte der Professor für Systematische Theologie: Statt einer willkürlichen "Wie-es-mir-beliebt-Vernutzung der Bibel" müsse es darum gehen, "primär die Grundperspektive der liebenden Zuwendung Gottes zu den Menschen in den Blick zu nehmen".     

Als biblische Grundbestimmungen nannte Dabrock die Menschenwürde, die sich aus der Gottebenbildlichkeit ableite, und die Gleichwertigkeit und Inklusion aller Menschen, für die er den Vers "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus" (Galater 3,28) heranzog. Für diese Werte sollten sich evangelische Christenmenschen aus ihrem Glauben heraus engagieren.

Sexuelle Orientierungen und leibliche Prägungen seien "keine Lebensformen, die man wählen oder abwählen kann", sagte Dabrock. Sie verdienten "nicht nur Toleranz, sondern Akzeptanz". Die Behauptung, eine nicht-heterosexuelle Orientierung sei "Sünde", dürfe es in der christlichen Gemeinde nicht geben, das wäre für ihn ein "status confessionis", also eine Frage, bei das Bekenntnis einer Konfession auf dem Spiel steht.

Eine Grenze gegenüber "bibeltreuen Kreisen" markieren

Die evangelische Kirche solle "die subtil-wohlfeilen homo- und transphoben Positionen in der eigenen Kirche – und seien es die eines Bischofs – aufdecken" und deutlich machen, "dass sie gegen den christlichen Glauben verstoßen", sagte Dabrock. Gegenüber "Kreisen, die sich als fromm und bibeltreu bezeichnen" müsse die Kirche "eine Grenze markieren", forderte der Theologe.

Dabrock hatte ab 2010 im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) eine Ad-hoc-Kommission zum Thema Sexualethik geleitet. Die Arbeit dieser Kommission wurde von der EKD 2014 gestoppt, nachdem die 2013 veröffentlichte Familien-Orientierungshilfe heftige Kritik konservativer Kreise hervorgerufen hatte; sie sahen den Wert der Ehe nicht ausreichend gewürdigt. 2015 erschien unabhängig von der EKD das Buch "Unverschämt - schön Sexualethik: evangelisch und lebensnah" von Peter Dabrock und anderen Autoren.

Transsexuelle richten Resolution an die Kirchen

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"Bei mir ist das Bedürfnis geweckt worden, die Kirchen in Deutschland aufzufordern, sich in einen Dialog mit intersexuellen und transidenten Menschen zu begeben", sagte die Initatorin Esther Lau.

Drei Tage lang haben sich rund 200 Menschen auf Einladung des Fachbereichs Evangelische Theologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main über verschiedene Aspekte von Transsexualität ausgetauscht. Auf der Tagung unter dem Titel  "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaftenwaren" sprachen auch mehrere Theologinnen und Theologen, darunter der evangelische Sozialethiker Peter Dabock und der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung.

Zum Schluss der Konferenz hat Esther Lau von der Selbsthilfe- und Beratungs-Initiative "Queer Mittelrhein" eine Resolution formuliert, mit der sie die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland zum Dialog auffordert. Die Kirchen sollten sich "in einen Diskurs zur Vereinbarkeit von Intersexualität und Transidentität einerseits und Theologie andererseits" begeben, heißt es in dem Text. Es gelte, "theologische Antworten und praktische Wege für die Lebbarkeit und Vereinbarkeit von Intersexualität und Transidentität im religiösen Kontext zu finden".

Die Initiatorin Esther Lau sagte, im Laufe des Kongresses sei deutlich geworden, "dass keine Leitungsebene einer der Kirchen sich bislang mit diesen beiden Menschengruppen als Tagesordnung eingelassen"habe - gemeint sind intersexuelle und transidente Menschen. Nach dem Erhalt der Resolution, so Laus Hoffnung, "können die Kirchen nicht mehr sagen, sie wüssten nicht um diesen Bedarf eines entsprechenden Diskurses - der Ball liegt somit auf ihrer Seite, den es gilt zu spielen".

Karneval: himmlisch jeck und durch und durch protestantisch

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Hans Mörtter

Foto: privat

Hans Mörtter (rechts) beim Karnvelsgottesdienst in der evangelischen Lutherkirche in Köln.

Der Obrigkeit den Spiegel vorhalten. Widerspruch wagen. Den Zeitgeist hinterfragen, als Narr die Welt im Blick haben und verändern wollen. Der Karneval ist im Urgrund protestantisch, sagt unser Gastautor Hans Mörtter. Und der muss es wissen, denn er ist Pfarrer in Köln.

Ich bin Rheinländer, das Karnevals-Gen ist in mir drin. Ich kann sozusagen nichts dafür. Zu Karneval ergießt sich der Heilige Geist massiv bei uns. Im kölschen Karnevals-Gottesdienst geraten 500 bunt kostümiert und geschminkte Gläubige aller Generationen in Ekstase. Ich kann auch nicht anders, steh, springe, schunkele im bunten Kostüm und Netzstrümpfen, von denen nicht nur die Seniorinnen begeistert sind.

Ich weiß, an den letzten Tagen vor der Passionszeit klingt das außerhalb des Rheinlands befremdlich. Schließlich beginnt die Vorleidenszeit mit den Predigttexten bei uns Protestanten schon drei Sonntage vor der Passionszeit. Wir leiden am Leid der Welt. Nur wir ändern nichts damit, außer dass wir unsere ernste Betroffenheit pflegen. Da kommen wir Rheinländer nicht so richtig mit.

In fröhlicher Sinnlichkeit

Auch Jesus war dem Leben zugewandt, feierte, aß und trank Wein. Menschennähe, Berührung und Freude sind lebenswichtig. Wir wollen uns freuen, glücklich sein miteinander – dafür haben wir unsere "fünfte Jahreszeit"– und das in fröhlicher Sinnlichkeit. Unsere sozialen Aufgaben und Anliegen lassen sich mit dieser lebensbejahenden Einstellung noch besser erfüllen.

Mal hat ein Gemeindeglied – 32 Jahre lang war er engagierter Presbyter – heimlich auf unser Holzkreuz im Gemeindesaal mit leichtem Schriftzug "Tünnes" angebracht. Hintergrund dazu war eine Sitzung der kultigen Kölner Karnevals-Stunksitzung mit rund 34.000 Besucher und Besucherinnen. In einer provozierenden Szene gab es ein großes Holzkreuz mit Corpus - und drüber ein "Tünnes"-Schild. Die Wogen schlugen sehr hoch in Köln und ich wurde dabei zum theologischen Anwalt der frechen alternativen Karnevalisten. Noch wie wurde so intensiv öffentlich über die Bedeutung des Kreuzes in der Stadt diskutiert.

"Ein Narr, der den Anspruch hat, die Welt zu verändern"

INRI, diese Initialen hatte Pontius Pilatus den Evangelien zufolge über dem gekreuzigten Jesus anbringen lassen: Iesus Nazarenus Rex Iiudaeorum (Jesus von Nazareth, König der Juden) hieß das – eine Provokation, ein Verlachen dessen, der sich als Gesalbter und Gesandter Gottes verstand. Dann kann die moderne Übersetzung von INRI doch nur heißen: "Seht, da hängt ein Narr, der den Anspruch hat, die Welt zu verändern".

Aber ist dieser "Narr" ein "Tünnes", der nicht um die Realitäten weiß? Um die Not der Flüchtlinge, die es lebend zu uns geschafft haben, mit ihrem Recht auf Würde, Hilfe und Beistand – ohne rosarote Brille? Um den gefährlichen Rechtsruck mit Erstarken der AfD, die Schusswaffengebrauch an der Grenze hoffähig machen wollen? Um das Ergehen derer, die von Hartz IV-Bezügen leben und den Bildungsnotstand bei armen Kindern ohne gesellschaftliche Chancen?

Das Wort vom Kreuz – eine Torheit

Ich sage: Christus weiß um uns, hält dagegen, steht ein für Ermutigung und zum Widerspruch, zum Einstehen für das Leben. "Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft." (1.Korinther 1, 18).

Im Mittelalter führten die Armen im Kölner Karneval die Reichen, die Obrigkeit, den Klerus und Kardinal in ihrer kleinkarierten Bigotterie vor, machten sich lustig und entlarvten sie, indem sie ihnen den Spiegel vorhielten. Vor dieser anarchischen Freigeistigkeit hatte Napoleon Angst und wollte den Karneval verbieten – erfolglos. Die nachfolgenden protestantischen Preußen lernten daraus und gründeten 1824 das "Festordnende Komitee" des Kölner Karnevals, um obrigkeitlich Ordnung zu schaffen. Aber auch damit brachten sie das Geschehen nicht unter Kontrolle. Der Widerspruchsgeist der Menschen war zu stark und so entstand der Kölner alternative Karneval.

Jesuanisch und prophetisch auf Seiten der Armen

Ich nenn das ur-christlich, ur-protestantisch und stehe für diese Kultur in meiner Gemeinde und der ganzen Stadt ein. Frei sage ich, dass der Karneval im Urgrund protestantisch ist, nämlich jesuanisch und prophetisch auf Seiten der Armen, kritisch hinterfragend gegenüber dem Zeitgeist. Frei und aufrecht und mutig. Ein Bild dafür ist der Clown von Georg Baselitz, der kopfüber in der Zirkusmanege hängt und so die Welt anders in den Blick nimmt. Oder wie Johann Christoph Blumhardt (evangelischer Theologe 1805-1880) sagte: "Christenmenschen sind Protestleute gegen den Tod!".

Genau das erlebe ich im Kölner Karneval: Wir lassen uns nicht kleinkriegen, wir erleben uns zusammen in der Freude zu leben, im Miteinander der Kulturen, in unserem Anspruch, göttlich verdankte und reich beschenkte Menschen zu sein. Wir tanzen glücklich miteinander im Freiraum unserer Kirche, kostümiert und herrlich geschminkt – erleben uns in unserer Andersartigkeit und kostbaren Besonderheit, in unserem Menschsein. Gott, na klar, es ist Karneval! Da schlägt das Herz ganz groß für die Menschen, egal woher sie kommen und wer sie sind. Im Karneval bei uns erleben wir Gottes Weite, seine fröhlich lebensbejahende, zugewandte, lebendige Kraft. Das macht Mut und tut gut!

Unser Gott lacht

Und darin lassen wir uns auch von der grassierenden Angsthysterie nicht schrecken. Wir alle sind als Menschen, Obdachlose, Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger, Illegalisierte im Kirchenasyl bei uns, Afrikaner, Syrer, Bürgerliche und Wohlhabende, Schwule und Lesben, alle miteinander eng verbunden, eine große Menschheitsfamilie, Kinder Gottes, Männer und Frauen.

Im Karneval spielen und erleben wir unsere Unterschiedlichkeit, unser Verdanktsein  im Sinne unseres Aus-Gott-und durch-Gott-Geschaffenseins, unser Miteinander, die Faszination am Anderen und Fremden, dazu auch unsere herrliche Erotik und gegenseitige Anziehungskraft. Manchmal glaube ich zu hören, wie unser Gott lacht und sich über uns und mit uns herrlich freut. In dieses lebensbejahende göttliche Lachen stimmen wir fröhlich mit ein, um uns gleichzeitig die Unstimmigkeiten unserer Welt vorzuknöpfen.

"Der Prophet ist ein Narr, der Mann, der den Geist hat, ist ver-rückt."Hosea 9,7

"Und Gott schuf sie männlich und weiblich"

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Symbol für Transsexualität auf einer Kreidetafel.

Foto: evangelisch.de

Beim Thema Transsexualität muss die Kirche noch ihre Hausaufgaben machen. Das war ein Ergebnis einer dreitägigen Konferenz an der Uni Frankfurt. Vortragende und Plenum waren ziemlich queer zusammengesetzt: etliche transidente und intersexuelle Menschen waren da, dazu Neurowissenschaftler aus aller Welt, Psychologen, Biologinnen und Theologen.

"Liebe Menschen", so begann Gerhard Schreiber, Theologe an der Uni Frankfurt, seine Begrüßung – so war niemand gezwungen, sich in eine Geschlechts-Schublade einzuordnen. "Damen und Herren" hätte geradezu kurios gewirkt bei der Konferenz "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften". Schreiber hatte dazu Neurowissenschaftler, Biologinnen, Juristinnen und Theologen eingeladen, um alle auf den neuesten Stand und miteinander ins Gespräch zu bringen.

Die Hirnforscher durften beginnen. Mark Solms, Neurowissenschaftler und Psychoanalytiker aus Kapstadt, zeigte, wie sich das Geschlecht eines Menschen schon vor der Geburt im Gehirn entwickelt und wie kompliziert es ist, die Unterschiede zwischen "männlich" und "weiblich" zu bestimmen. Sein Kollege Dick Swaab aus Amsterdam ergänzte, dass man die sexuelle Identität eines Kindes nach der Geburt nicht mehr ändern kann. "Wir sind unser Gehirn", lautet der Titel seines Buches. Der 81-jährige Biologe Milton Diamond aus Honolulu zeigte Fotos von Menschen mit sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsmerkmalen ("Intersexuelle") und von Menschen, deren Körper aussehen wie "Männer", die aber im Gehirn "Frauen" sind ("Transfrauen") oder umgekehrt ("Transmänner"). Diamond zeigte damit, welche große Vielfalt es in der Natur gibt.

Manche Menschen wollen sich gar nicht bei "Mann" oder "Frau" einordnen, und letztendlich können es die Hirnforscher auch nicht. Je nachdem, wie man biologische, anatomische, chromosomale, hormonelle, neurologische, genetische, psychologische oder soziale Merkmale kombiniert, ergeben sich unendlich viele Geschlechter. Da kommt die Frage nach dem praktischen Sinn der Ursachenforschung im Gehirn auf: "Woher es kommt, interessiert die Menschen nicht mehr, sobald sie ihren Weg gefunden haben", brachte es ein Teilnehmer kritisch auf den Punkt. Auch einige der 19 Referenten bekräftigten diese Sicht: Der Psychiater und Psychotherapeut Horst-Jörg Haupt aus Luzern warb für geschlechtliche Selbstbestimmung und der evangelische Theologe Dirk Evers von der Universität Halle-Wittenberg sagte fast andachtsgleich: "Vor Gott sind wir als diejenigen angesehen, die in keiner Zuschreibung, in keiner Rolle aufgehen."

Sensibilität war gefragt – auch in der Sprache. Der Psychologe Kurt Seikowski aus Leipzig spricht statt "Transsexualität" lieber von "Transidentität", denn die betreffenden Menschen hätten ja kein Problem mit ihrer "Sexualität". Jemand fragte, was denn bitte "männliche und weibliche Eigenschaften" sein sollen. "Wir müssen den Schubladenschrank loswerden!", forderte Regina Ammicht Quinn vom Zentrum für Gender und Diversitätsforschung in Tübingen.

"Es gibt keine christliche Sexualmoral"

"Aber in der Schöpfungsgeschichte steht doch: er schuf sie als Mann und Frau", mögen Bibelkundige einwenden. Dirk Evers präzisierte, dass in 1. Mose 1,27 die Adjektive "männlich" und "weiblich" stehen. In demselben Vers wird allen Menschen Gottebenbildlichkeit zugesprochen. "In der wechselseitigen Bezogenheit und seiner sexuellen Diversität entspricht der Mensch seinem Schöpfer", erklärte Evers. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sah das auch so: Die Zweigeschlechtlichkeit sei "nicht das einzige Schöpfungsgemäße, gegenüber dem anderegeschlechtliche Orientierung als defizitär zu beurteilen wäre", sagte er und forderte: "In der evangelische Kirche sollen sich Menschen jeglichen Geschlechts und verschiedener sexueller Prägung von Gott geliebt und angenommen fühlen." Jung sagte außerdem, dass eine "Entmoralisierung erforderlich" sei.

Moral? Ja, darum geht es immer noch, mindestens in der katholischen Kirche. Welches Problem die mit der Geschlechtlichkeit hat, zeigte die Theologin Regina Ammicht Quinn: Eine klare Zweigeschlechtlichkeit bedeute Ordnung, es darf keine Vermischung und "Unreinheit" geben. "Schmutz" wäre zum Beispiel Körperflüssigkeit am falschen Ort – Chaos bricht aus, nichtpassende Körper müssen "aufgeräumt" werden, "Transsexualität ist dann eine Kampfansage an die Schöpfungsordnung", erläuterte Ammicht-Quinn. Gott habe aber gar kein Interesse daran, mit Reinheitsgeboten Ordnung zu schaffen. "Es gibt keine christliche Sexualmoral", war ihre steile These. Ammicht Quinn forschte stattdessen vom Begriff "trans" ausgehend nach "Grenzüberschreitungen" im Christentum. Sie fand: die vom Menschen zu Gott (Transzendenz), die von Gott zu den Menschen (Inkarnation) und die "Bekehrung zu einem Gott, der größer ist als die menschlichen Ordnungsversuche" (Konversion). Um Sex muss es also gar nicht gehen beim Thema "Transgeschlechtlichkeit". Mit dieser Erkenntnis war Regina Ammicht Quinn ihren Kollegen um ein paar Nasenlängen voraus.

Eberhard Schockenhoff, katholischer Moraltheologe aus Freiburg im Breisgau, sprach in seinem Vortrag irritierenderweise über Ehe und Sexualität, gestand aber immerhin auch nicht-hetero-normativen Paaren zu, in Zweierbeziehungen zu leben. Er entwarf eine Beziehungsethik, nach der Liebe, Hingabe und Verlässlichkeit wichtig sind. Ähnlich der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock aus Erlangen, der seine Kriterien für verantwortlich gelebte Sexualität darlegte. Einen Appell an Christen und Kirche, nicht-hetero-cis-normative sexuelle Ausrichtungen und Identitäten anzuerkennen und zu würdigen, begründete Dabrock biblisch: Die Menschenwürde leitete er von der Gottebenbildlichkeit in 1. Mose 1,27 ab, die Inklusion und Gleichwertigkeit aller Menschen aus Paulus'"… hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus" (Galater 3,28). Doch auch Dabrock traf eigentlich nicht das Thema Transsexualität.

Das Publikum hakte nach: "Sie haben von Beziehung gesprochen, nicht von Identitätswechsel. Was wäre das ethische Problem an dem Phänomen Transsexualität? Gibt es eins?" Nein, so die Antwort von beiden Theologen. "Sie müssen Unterstützung kriegen können für Herstellung von Kongruenz", sagte Dabrock und meinte die Übereinstimmung von Hirn- und Körpergeschlecht nach einer Operation. So auch Schockenhoff: "Wenn eine Person unter der Differenz leidet, dann muss man den Weg gutheißen, die Störung zu beheben. Das ist nicht gegen Gott gerichtet und nicht moralisch unwürdig. Das kann ein verantwortlicher Umgang mit der eigenen Körperlichkeit und ein Ausdruck von Selbstliebe sein."

Bemerkenswert war, dass ausgerechnet eine Biologin den Theologen zeigte, was noch zum Thema "Transsexualität" in der Bibel steht: Joan Roughgarden leitete "ein ganz starkes Mandat für die Inklusion von Transgender-Personen" aus den Stellen über Eunuchen ab, insbesondere der Geschichte vom Kämmerer aus Äthiopien (Apostelgeschichte 8, 26f).

Erster Wunsch: "Hilfe beim Coming-out"

Gerade wenn Menschen an ihrem Körper und ihrer Umwelt leiden, sollte diese Inklusion den Kirchen ein echter Auftrag sein, jenseits von Sonntagsreden über die Gleichwertigkeit aller Menschen. Dass Teile der Kirchen ihre moralisierende Position verlassen und sich aufmachen, Menschen in ihrer Identität wahrzunehmen, ist zwar schön, reichte den Teilnehmenden der Konferenz aber nicht. In einer Resolution, die Esther Lau von der Gruppe "Queer Mittelrhein" spontan während der Konferenz geschrieben hat, fordern die Unterzeichner, dass die beiden großen Kirchen sich in einen Dialog mit intersexuellen und transidenten Menschen begeben. "Es gilt, theologische Antworten und praktische Wege für die Lebbarkeit und Vereinbarkeit von Intersexualität und Transidentität im religiösen Kontext zu finden." Einen Anfang hat die Arbeitsgruppe "Queer in Kirche und Theologie" gemacht: Sie hat Bausteine erarbeitet, wie ein Gottesdienst anlässlich einer Transition aussehen könnte.

Die eigentliche große Baustelle der Kirche beim Thema Transidentität ist die begleitende Seelsorge. Die transsexuelle bayrische Pfarrerin Dorothea Zwölfer hat bei Facebook eine Umfrage unter Transmenschen gemacht, ihre Frage war: "Was ist eure Erwartung an Kirche, was ist euch am Wichtigsten?" Die Antwort an erster Stelle: "Unterstützung beim Coming-out." Die Pfarrerin erzählt von einem Krankenhausbesuch bei einem Menschen nach dessen geschlechtsangleichender Operation. Die Eltern hätten gesagt: "Du bist nicht mehr unser Kind."– "Das ist schon ein Hammer", findet Zwölfer. Wie kann die Kirche in so einem Fall aktiv werden? "Wenn dann der Pfarrer bei den Eltern mal einen Besuch machen und sagen würde: 'Hören Sie mal, es ist zwar vielleicht ein Schock für Sie, aber jetzt fassen Sie sich doch mal ein Herz und reden Sie wieder mit ihrem Kind!'"

Anmerkung: Eine missverständliche Formulierung Ende des zweiten/Anfang des dritten Absatzes wurde nachträglich von der Autorin geändert.

Das hörende Herz kann groß werden

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Eine junge Frau sitzt auf einer Mauer und wirft ein rotes Plüschherz in den Himmel.

Foto: Gerti G./photocase.de

"Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge" lautet das Motto evangelischen Fastenaktion "7 Wochen Ohne" 2016. Die Teilnehmenden sind aufgerufen, ihr Herz für andere Menschen zu öffnen. Aber was hat Offenheit mit dem Pump-Organ im Brustkorb zu tun? Nach biblischem Verständnis stehen Organe für Aspekte des Menschseins. Im Herzen öffnet sich der Mensch für Gottes Stimme.

Die Autoren des Alten Testamentes stellten sich den Menschen als ein Ganzes vor, das aus vielen Teilen zusammengesetzt ist. Einzelne Körper-Begriffe stehen dabei immer für den ganzen Menschen, jeweils unter einem bestimmten Aspekt. Das Wort "näfäsch" zum Beispiel, meist unzureichend mit "Seele"übersetzt, meint den Menschen in seiner Bedürftigkeit: Der Begriff heißt auch "Kehle" - der Körperteil, durch den alles hindurch muss, was wir zum Leben brauchen, Wasser, Speise und Luft. Der Mensch ist eine näfäsch mit Bedürfnissen und Sehnsüchten. Wenn vom "Ohr" die Rede ist, ist häufig das Verstehen gemeint, "Auge" meint "Erkennen" und der "Fuß" steht für "Kraft".

Das weitaus häufigste Wort, das ein Organ und damit zugleich viel mehr bezeichnet, ist "leb", das Herz. Es steht 858 mal im Alten Testament und meint nicht nur – wie in der heutigen westlichen Kultur – die Gefühlsebene. "Der Hebräer denkt weitgehend mit dem Herzen", schreibt Rainer Albertz (Theologische Realenzyklopädie 22, Artikel "Mensch II"). Denken, Fühlen und Wollen gehören in der Bibel untrennbar zusammen und finden in der in der Mitte des Menschen – im Herzen – zusammen. Ein gutes Beispiel dafür war die Losung des den Evangelischen Kirchentag 2015, "damit wir klug werden" (Psalm 90,12b): Im Hebräischen steht dort "ein weises Herz erlangen". Luther übersetzte "klug werden", und das ist nicht falsch.

Denn das Herz ist auch Sitz der Vernunft, die wir heute dem Gehirn zuordnen. Im Bericht über das Lebensende von Nabal (1. Samuel 25,37-38) würde es sogar passen, im Deutschen "Gehirn" statt "Herz" zu schreiben. In der Erzählung heißt es: "Da erstarb sein Herz in seinem Innern, und er wurde wie ein Stein. Und es geschah nach zehn Tagen, da schlug der Herr den Nabal, dass er starb." Erst starb sein Herz, und danach lebte er noch zehn Tage lang weiter? Das ist medizinisch unmöglich. Wahrscheinlich sind bei Nabal Gehirnfunktionen ausgefallen, wir würden dazu vielleicht "Schlaganfall" oder "Hirnblutung" sagen. Doch das hebräische "leb" immer mit "Gehirn" zu übersetzen, wäre auch nicht richtig.

König Salomos Bitte um ein weises Herz

Das Herz ist in der hebräischen Bibel ein wahrnehmendes Organ, es sei "zum Verstehen bestimmt", schreibt Hans Walter Wolff in seinem Buch "Anthropologie des Alten Testaments" (Gütersloh 2002, 7. Auflage). Dieses Verstehen ist nicht unbedingt Ergebnis intensiver Studien, sondern es entspringt der Beziehung des Menschen zu Gott. König Salomo ist dafür das beste Beispiel: Auf Gottes Frage nach seinem Wunsch antwortet er: "So gib du deinem Knecht doch ein verständiges Herz, dass er dein Volk zu richten versteht und unterscheiden kann, was gut und böse ist." (1. Könige 3,9). Die legendäre Weisheit des Salomo ist also eine Qualifikation, die er nicht aus sich selbst heraus besitzt, sondern von Gott erbittet und bekommt. Von Salomo können wir lernen, eine Haltung des Hörens und der Zuwendung einzunehmen: Mit Gott im Gespräch bleiben, beten, innehalten, hinhören. In der Beziehung zu Gott ist der Mensch in erster Linie Empfangender.

Die andere Richtung der Beziehung zwischen Mensch und Gott ist die Hingabe: Das Herz wird offen zum Lieben. Im höchsten Gebot (Deuteronomium 6, 5-6) heißt es: "Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen (= "leb"), von ganzer Seele (= "näfäsch") und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen (= dir bewusst machen, darüber nachdenken, dich daran erinnern)." Mit "lieb haben" ist hier nicht Liebe im Sinne von großen Gefühlswallungen gemeint, sondern eine bewusste Hingabe des ganzen Menschen zu Gott hin.

"Das andere aber ist dem gleich: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst'", ergänzt Jesus das Gebot (Matthäus 22,39). So bleibt es nicht beim Empfangen und Geben zwischen dem Einzelnen und Gott, sondern die Beziehung hat Auswirkungen auf andere Menschen, auf das soziale Umfeld. Aus dem Hören heraus kann das Herz gefüllt und genährt – also "groß"– werden. So mit der Kraft des Höchsten versorgt, sollte es den Fastenden während der Aktion "7 Wochen Ohne" umso leichter fallen, ihr prall gefülltes Herz zu öffnen – und es gewissermaßen wieder auszuschütten in Form von Mitgefühl, Nachsicht und Weite gegenüber den Mitmenschen.

 

Teile dieses Artikels erschienen bereits im März 2014 bei evangelisch.de unter dem Titel "Mit dem Herzen denken".

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